Aufruhr im Reichsrätekongreß - Genossin Leu sorgt für Ruhe
Neben Klara Noack (1873-1962, MSPD) war Käthe Leu (1881-1933, USPD) die einzige weibliche Repräsentation der deutschen Arbeiterschaft auf dem Reichsrätekongreß. Und dies obwohl seit dem Krieg hunderttausende Frauen sogar in der Schwerindustrie als Arbeitskräfte eingesetzt worden waren. Leu ergriff als erste Frau in einem deutschen Parlament das Wort und kommentierte die schwache Repräsentation der Frauen mit dem wiederholten Ausruf "Parteigenossen und Parteigenossin". An mehrere Genossinnen konnte sie sich vom Podium aus nicht wenden.
Die ersten Parlamentarierinnen waren Noack und Leu jedoch nicht. Bereits am 15. Dezember war im Freistaat Anhalt Marie Kettmann (MSPD) als erste weibliche Abgeordnete in einen der deutschen Landtag gewählt worden.
Volltext:
Vorsitzender [Robert] Leinert [MSPD]:
Es ist folgender Antrag eingegangen:
Der Kongreß erklärt es für die besondere Aufgabe der Revolution, die bisher auf allen Lebensgebieten zurückgesetzten Interessen der Frauen überall tatkräftig zu fördern.
Das Wort hat die Genossin Leu.
(In dem herrschenden LäRM wird die verlesene Entschließung von niemand verstanden. Stille tritt erst ein, als Käthe Leu das Rednerpodium betritt.)
Käthe Leu - Danzig:
Parteigenossen und Parteigenossin! Denn selbstverständlich wende ich mich auch, was bisher kein Redner getan hat, an die Parteigenossin des Hauses. (Sehr gut!) Wir befinden uns hier in einem revolutionären Parlament. Daß ich hier von dieser Tribüne aus sprechen darf, das ist wohl ein Beweis der neuen Zeit. Wir Frauen waren politisch entrechtet und mundtot gemacht worden. Wir durften bisher in keinem Parlament die Stimme erheben, besonders nicht für unsere Fraueninteressen.
Parteigenossen und Parteigenossin! Wenn wir die Revolution sichern wollen, so können wir sie nicht nur sichern mit den Männern allein, sondern auch wir, die wir jahrelang im politischen Kampfe zusammengestanden haben, werden mit den Männern zusammen Schulter an Schulter für die Erhaltung der Revolution kämpfen. (Bravo!)
Die Sicherung der Revolution kann nur mit der Frau geschehen. Selbstverständlich schlagen schon heute Tausende von aufgeklärten Frauenherzen der Revolution entgegen; aber ebenso sicher ist es, Parteigenossen und Parteigenossin, daß wir eine große, gewaltige indifferente Frauenmasse noch in Deutschland haben, politisch unaufgeklärt, und das werden die widerstrebenden Elemente sein, die uns auch unsere Revolution gefährden können. Deshalb ist es - und deshalb habe ich den verlesenen Antrag eingebracht - , eine der größten Aufgaben, daß die Frauen Deutschlands mit dem Sozialismus vertraut gemacht werden, eine der größten Aufgaben in dieser kurzen Spanne Zeit, die uns bis zur Nationalversammlung zur Verfügung steht. Leider sind es ja nur vier Wochen geworden. Aber diese vier Wochen, Parteigenossen, müssen wir zusammenfassen, um nur das zu tun, was wir unbedingt haben müssen zur Erhaltung der Revolution.
1912 haben wir zuletzt gewählt. Es kommen dazu 11 Jahrgänge des männlichen Geschlechts, und dann kommen dazu alle die Frauenmassen, die bisher nicht wählen durften. Diese großen Massen müssen wir in diesen vier Wochen erfassen, um zu versuchen, sie mit dem Sozialismus vertraut zu machen, daß sie uns helfen, die neue sozialistische Republik aufzurichten; und, Parteigenossen und -Genossin, deshalb ist es notwendig, diese 4 Wochen nicht zu verzetteln mit Dingen, die nicht unbedingt notwendig sind, sondern diese ganzen 4 Wochen müssen wir dazu benutzen, nur allein den Massen den Sozialismus zu predigen, den wir gebrauchen, um die Revolution hochzuhalten und ihr zum Siege zu verhelfen. Deshalb sage ich von dieser Stelle aus: Es kann uns nichts helfen, wenn wir für die Zukunft nicht der gesamten Arbeiterklasse, der gesamten sozialistisch denkenden Welt in Deutschland zurufen: Ihr habt wohl die Macht in Händen, aber nur, wenn ihr euch einig seid. (Stürmischer Beifall.)
Vorsitzender Leinert:
Ich stelle fest, daß der Kongreß den Antrag der Genossin Leu angenommen hat.
Quelle:
Dieter Braeg / Ralf Hoffrogge (Hg.), Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, 16.-20. Dezember 1918 Berlin, Stenographische Berichte, Berlin 2018, S. 510f.