Positiv habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Die Herren sind nicht von mir zu einer Besprechung aufgefordert, vielmehr war mir von einer den Unabhängigen nahestehenden Persönlichkeit durch Vermittlung eines langjährigen Beamten des Auswärtigen Amtes nahegelegt worden, Herren der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zur Besprechung außenpolitischer Fragen zu empfangen1. Mit Rücksicht auf die zu jener Zeit gespannte innerpolitische Lage habe ich, ehe ich die Antwort erteilte, den Herrn Ministerpräsidenten nach Weimar telefonisch von der Anregung Kenntnis gegeben und seine Zustimmung zu einem Empfang erhalten.
Ich habe 2 Herren empfangen, am 2. März Dr. Breitscheid und am 4. März Herrn Haase. Die Unterhaltungen mit beiden Herren beschränkten sich, was die innere Lage betrifft, darauf, daß ich sie ihre Auffassung entwickeln ließ. Die Mitteilungen waren, was insbesondere die Stellung des Kabinetts betrifft, und eine evtl. Rekonstruktion so wenig positiv, daß ich mir über den Inhalt keine Aufzeichnungen gemacht, sondern den Geheimrat Nadolny beauftragt habe, dem Ministerpräsidenten zu melden, ein positives Ergebnis sei nicht erzielt. Wenn ich nicht irre, war es Dr. Breitscheid, der mir sagte, er glaube, das Kabinett sei in seiner jetzigen Zusammensetzung nicht zu halten, seine Partei hoffe aber, mich retten zu können. Ich erinnere mich wörtlich erwidert zu haben: „Sie wissen ja gar nicht, ob ich mich unter diesen Umständen überhaupt retten lassen will.“
Wenn, wie ich jetzt höre, behauptet wird, ich hätte mich bereit erklärt, ein neues Kabinett zu bilden, so ist diese Behauptung vollkommen aus der Luft gegriffen. Ich habe vielmehr wiederholt betont, daß ich mich ausschließlich über die innere Lage informieren müsse, um ihre Entwicklung beurteilen zu können, soweit sie für die auswärtige Politik in Frage komme.
Bezüglich der auswärtigen Politik habe ich wiederholt betont, daß, wenn nicht endlich der innere Hader aufhöre, wir weder Frieden noch Brot bekommen würden, und daß der Anschluß Deutsch-Österreichs an das Reich in Frage gestellt werde.
Ich nehme für mich, wie ich bei Übernahme des Amtes verlangt habe, das Recht in Anspruch, mich über die innere Lage durch Fühlungnahme mit allen Parteien zu unterrichten. Dieses Recht ist mir ausdrücklich zugebilligt worden, und nachdem ich den Herrn Ministerpräsidenten informiert hatte, konnte ich nicht anders vorgehen, wie ich es getan habe, zumal ich in der ganz kritischen Zeit in Berlin der einzige anwesende Reichsminister war.
Quelle: Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, Das Kabinett Scheidemann, Band 1, Nr. 10b
bearbeitet von Hagen Schulze, Boppard am Rhein 1971, online abrufbar unter www.bundesarchiv.de