3. Februar 1919:
Die Reichsregierung ist heute früh [von Berlin] nach Weimar abgereist. Ob sie jemals wiederkehrt, scheint mir unsicher (Kessler Tgbb, S. 118)
6. Februar 1919 (Auszug):
Eröffnung der Nationalversammlung in Weimar. Eberts Rede schön und würdig, namentlich darin, daß er den Abbruch der Verhandlungen mit der Entente unter gewissen Umständen in Aussicht stellt. (Kessler Tgbb, S. 120)
11. Februar 1919 (Auszug):
Gestern [10.Februar] ist in Weimar die provisorische Verfassung angenommen. Damit endet offiziell die Revolution. Allerdings tatsächlich ist es bloß ein Abschnitt. (Kessler Tgbb, S. 127)
24. Februar 1919 (Auszug):
Sitzung der Nationalversammlung am Regierungstisch beigewohnt. Preuß begründet seinen Entwurf zur Reichsverfassung in einer unendlich langweiligen, farb- und temperamentlosen, schwerfälligen und schleppenden Rede; von der Größe des historischen Moments kein Hauch. Nach einer Stunde schlief ich ein und ging dann hinaus. (Kessler, Tgbb, S. 138)
25. Juli 1919 (Auszug):
Heute kam endlich die große politische Auseinandersetzung. Vormittags begann sie mit Reden des Zentrumsabgeordneten Brauns und des preußischen Landwirtschaftministers Braun, dann entlud sich nachmittags in einer der dramatischsten Sitzungen, die wohl je ein Parlament abgehalten hat, die Spannung. Der Deutschnationale [von] Graefe [...] griff Erzberger und die Revolution an, indem er sie für die Katastrophe verantwortlich machte. [...] Graefes Rede war rhetorisch äußerst wirksam, das blasse, feine, ernste Gesicht, die schöne, gepflegte Stimme, der schwere Vorwurf, daß durch Erzbergers Indiskretion der Frieden 1917 verhindert worden sei, dann ein Zitat aus einer Rede von Bismarck, durch das angedeutet wurde, Erzberger sei vielleicht bestochen gewesen von Österreich oder Frankreich.
Erzberger, der am Ministertisch bis dahin vollmondartig gelacht hatte, wurde ganz blaß und rot und schrie: `Unverschämtheit, was meinen Sie damit?` Graefe ließ sich aber nicht aus dem Konzept bringen, sondern wiederholte das Zitat. Man fühlte von diesem Augenblick an, daß es ein Ringen auf Tod und Leben war, daß zwei riesenhafte, weit über die Mauern des Theatersaales hinausreichende Gewalten einander an der Kehle hatten.
Als Graefe sich setzte, hatte man das Gefühl, daß die Situation rhetorisch nicht mehr gesteigert werden könne. Erzberger mit seiner Spießergestalt, seinem klobigen Dialekt, seinen grammatischen Sprachfehlern fiel zunächst ganz ab, obwohl er sehr geschickt und dramatisch anfing mit: ´Ist das alles?´ [...] Aber allmählich wuchs aus dieser drolligen, schlecht sprechenden, ungeschickten Gestalt die furchtbarste Anklage empor, die schlecht gesprochenen Sätze brachten Tatsache auf Tatsache, schlossen sich zu Reihen und Bataillonen zusammen, fielen wie Kolbenschläge auf die Rechte, die ganz blaß und in sich zusammengeduckt und immer kleiner und isolierter in ihrer Ecke saß. [...] Dann ging es wie ein Gemurmel und dann wie ein Meerestosen durch das Haus. Die ganze Linke, drei Viertel des Hauses war auf den Beinen und gegen die kleine, vor Wut bebende und blasse Rechte gewendet. Man schrie: `Mörder, Mörder!` Es sah aus, als ob sich der ganze Block der Linken zusammengeballt auf die Rechte stürzen und sie auf ihren Sitzen erwürgen würde. Blut lag in der Luft. [Kessler Tgbb, S. 195-196]
21. August 1919 (Auszug):
Nachmittags um fünf Vereidigung Eberts in der Nationalversammlung. Die Bühne war festlich geschmückt mit den neuen Reichsfarben, Blattpflanzen und Blumen, Gladiolen und Chrysanthemen, unter denen ein Theaterteppich, offenbar der Moosboden aus dem `Sommernachtstraum` [Stück von W. Shakespeare], ausgebreitet war. Die Orgel spielte, und alles drängte sich in schwarzem Rock zwischen den Blattpflanzen wie bei einer besseren Hochzeit. Das Haus war dicht besetzt bis auf die Deutschnationalen- und die Unabhängigenbänke [DNVP und USPD], die ostentativ leer blieben. Einige Sekretäre und Stenographen verteilten sich als Statisten auf die Plätze der Deutschnationalen. [...] Als Ebert den Eid leisten will, fehlt das Manuskript. Es muß erst gesucht werden. Peinliche Pause, da die Orgel aufgehört hat zu spielen. Fehrenbach wird nervös. Schließlich kommt jemand mit dem Blatt durch die Bratenröcke nach vorne gedrängt. Ebert spricht den Eid mit einer ganz sympathischen hellen Stimme. Fehrenbach begrüßt ihn. Ebert redet. Alles sehr anständig, aber schwunglos wie bei einer Konfirmation in einem gutbürgerlichen Hause. Die Republik sollte Zeremonien aus dem Weg gehen; diese Staatsform eignet sich nicht dazu. Es ist, wie wenn eine Gouvernante Ballett tanzt. Trotzdem hatte das Ganze etwas Rührendes und vor allem Tragisches. Dieses kleinbürgerliche Theater als Abschluß des gewaltigsten Krieges und der Revolution! Wenn man über die tiefere Bedeutung nachdächte, hätte man weinen mögen. (Kessler Tgbb, S. 200-201)
Quelle: Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996
Zitate zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost