Bayerische Landesregierung flieht vor dem Sturm
Die Gewitterwolken der drohenden kommunistischen Erhebung in München beginnen sich abzuzeichnen. So deutlich schon, dass sich die Regierung Bayerns zusammen mit dem Landtag genötigt sieht München zu verlassen, um nicht in die Fänge der Aufständischen zu geraten. Sie taten gut daran, denn nur einen Tag nach der Meldung der Vossischen Zeitung wird in München die Bayrische Räterepublik ausgerufen.
Volltext:
Los von München!
Wie verlautet, hat die bayrische Regierung beschlossen, München zu verlassen und vorläufig in der hiesigen Stadt ihren Sitz aufzuschlagen. Auch die gesetzgebende bayrische Nationalversammlung soll nach Bamberg einberufen werden. Für den Schutz der Regierung und des Landtages ist durch zuverlässige Truppen ausreichend gesorgt. Die hiesige Bevölkerung ist über die Absicht der Regierung außerordentlich erfreut.
Das scheinbar widerstandslose Hinübergleiten Münchens in das radikale Fahrwasser stärkt die Strömung in den bayrischen Provinzen, die der Hauptstadt die Gefolgschaft verweigern. Die sozialistische Regierung Bayerns sieht sich in einer überaus schwierigen Lage. Sie hat sich verpflichtet, die Führung mit der Volksvertretung aufrecht zu erhalten, und sie weiß, daß die übergroße Mehrheit der Bevölkerung den radikalen Strömungen, die in München zur Herrschaft zu gelangen drohen, mit der entschiedensten Ablehnung gegenübersteht. Die neueste Wendung der Dinge, die durch das Vorgehen des Zentralrates gegen den Zusammentritt des Landtages hervorgerufen ist, zwingt die bayrische Regierung zur Entscheidung. In München würde sie unter die Diktatur der Kommunisten geraten, die zwar nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung hinter sich haben, aber durch ihre Organisation eine ausschlaggebende Macht erlangt haben, zumal die in der Kaserne zurückgebliebenen Leute sich nicht verpflichtet erachten, den Befehlen der Regierung zu folgen, sondern sich als „neutrale Macht“ betrachten. Wenn die Regierung unter diesen Verhältnissen in München bliebe, so wäre die nächste Folge, daß sie jeden Einfluss auf das Land verlöre. Ihre Anordnung würden außerhalb Münchens nirgends Gehorsam finden, und in München nur so weit, sie sich dem Kommando der Kommunisten fügt. In ganz kurzer Zeit wäre die Auflösung Bayerns zu erwarten.
Als einziger Weg der Rettung ergibt sich für die bayrische Regierung, wenn sie diesen Namen mit Recht führen will, die Verlegung ihres Sitzes nach einer nordbayrischen Stadt, in der sie Herrin ihrer Entschlüsse ist und die Möglichkeit hat, im Zusammenhang mit der großen Masse der bayrischen Bevölkerung zu bleiben.
Wenn sich die Bamberger Meldung, die uns von zuverlässiger Seite zugeht, bewahrheitet, so werden die Münchener Vorgänge nur örtliche Bedeutung erlangen und auf die Beziehungen Bayerns zum Reich ohne Rückwirkung bleiben. Eine große Rolle wird in der nächsten Zeit die Frage spielen, ob es gelingt, die Bestimmungen des Reichswehrgesetzes auch in Bayern zur Durchführung zu bringen. Es ist hier mit sehr erheblichen Widerständen zu rechnen, zumal der Plan besteht, die bayrische Volkswehr ausschließlich aus Arbeitern zusammenzusetzen. Die Wehrmacht jedes zivilisierten Landes muss bedingungslos der Staatsgewalt unterstehen. Wer diese Grundlage aller Rechtsordnung angreift, dient nicht der Sache der Freiheit, sondern der Zerrüttung und Zerstörung.
Quelle:
Vossische Zeitung vom 6. April 1919, Nr. 177 Sonntagsausgabe
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP27112366-19190406-0-0-0-0.xml
Bild:
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