DVP-Parteitag in Jena
Die rechtsliberale DVP unter ihrem Vorsitzenden Gustav Stresemann tat sich schwer mit der neuen Zeit. Dies war auch auf ihrem mehrtägigen Parteitag in Jena zu spüren, zu dem hunderte Delegierte und Gäste erschienen. Die Redner verwiesen stets auf konservative, demokratieferne Vorbilder und Gedankenfiguren, wie die Idee, dass Demokratie mit der Herausbildung "echter" Führungspersönlichkeiten unvereinbar sei. Doch immerhin als "Mahner und Warner" will sich die Partei in die politische Debatte einbringen. Erst in späteren Jahren wird es Stresemann gelingen die DVP auf einen demokratie- und republikfreundlicheren Kurs zu bringen.
Volltext:
Die Tagung der Deutschen Volkspartei in Jena im Saale des Hotels „Deutsches Haus“ eingeleitet, dessen Bühne mit Blattpflanzen reich geschmückt war, die Bismarcks Büste gefällig umrahmten, während die langen, weißgedeckten Tafeln Frühlingsblüten und blühende Blumen sowie Palmen als Zier trugen. Männer und Frauen, Vertreter und Vertreterinnen der Partei aus allen deutschen Gauen sowie Angehörige hatten sich zu Hunderten eingefunden, sodaß sämtliche lange Tafeln bald voll besetzt waren. Nach kurzem Willkommensgruß durch Geh. Kirchenrat Prof. Dr. [Friedrich Wilhelm] Thümmel namens der Ortsgruppe Jena erfreute die Jenaer Kurrende [d.h. Schüler-Chor, Anm.] durch das Frühlingslied, „Du mein Jena“ und „Auf den Bergen die Burgen“ und erntete auch hier dankbaren, allgemeinen Beifall. Stürmisch wurde solcher auch gezollt dem Vortrag eines von hohem Schwung und tiefstem Ernst getragenen Gedichts „Bismarck“ durch Professor Neumann, das die neueste Ausgabe der „Deutschen Stimme“ bringt. Dann erhob sich Geheimrat Thümmel zur
Begrüßungsansprache.
Es könnte fraglich erscheinen, so etwa führte er u.a. aus, ob es in jetziger Zeit wohlgetan war, einen Parteitag einzuberufen, jetzt, wo Parteitreue so manchen fast als kleinlich erscheinen will, daß der Mut zum Kampfe fast schwinden könnte; jetzt, wo alles in Verwirrung dank einem zu lange gezüchteten und geduldeten politischen Wahnsinn, der die Grundfesten unseres Vaterlandes erschüttert – wozu jetzt Zusammenfinden? In einer Zeit tiefster Trauer, die deutsche Männer und Frauen je erleben können und in den letzten Monaten erlebt haben, die unser Herz aufs schwerste bewegt, finden wir uns zusammen, zunächst zu erster, sorgenschwerer Arbeit, nicht zu heiterer Geselligkeit wie sonst. Wir sind Mitglieder der Deutschen Volkspartei, fast möchte man noch immer lieber sagen, der nationalliberalen Partei (vielseitige laute Zustimmung), jedenfalls fühlen wir uns als Nachfolger der lieben alten, wohlbewährten Partei (Beifall). Wenn wir gegenüber der nationalliberalen Partei nach der Reichsgründung jetzt vorerst nur als ein kleines Häuflein erscheinen, so mögen wir schwer getroffen sein, sind aber nicht geschlagen. Daß sich die Stimmung des Deutschen Volkes so wenig zu unsern Idealen gelenkt, muß uns ernst stimmen; wir sind jetzt in die Rolle des besorgten Mahners und Warners gedrängt worden, eine Rolle, die seiner Zeit auch dem Mann zufiel, dessen Bild wir als einziges noch hier im Saale begrüßen können, Bismarck, als er vor 27 Jahren auf dem Markt in Jena zum Volke sprach vor dem Brunnen, der seitdem seinem Andenken geweiht ist. Nichts kann unsere Stimmung mehr aufmuntern als die Mahnung: Bleiben wir auf den Spuren dieses Mannes! Wenn der Partei der Vorwurf des „Spießbürgertums“ gemacht worden ist, so ist derselbe Vorwurf s. Z. – 1819 – von Wilhelm von Humboldt erhoben worden gegen den Reichsfreiherrn von Stein und, nur auf belanglose Aeußerlichkeiten gestützt, ebenso unbegründet ist gegen die Partei. Nicht „Spießbürgertum“ sondern gesunder Wirklichkeitssinn ist es, der diese treibt, in dem wir die stärksten Wurzeln unserer Kraft finden. Wir sind die Partei der Wirklichkeit, der Mitte – auf die Dauer kann man sich nicht in Extremen halten. Unser Grundwort ist „Dem Vaterland, nicht der Partei!“ – Das muß hinausgehen, daran müssen wir glauben; es ist die Sonne, die bald wieder aufgehen wird! Das Vaterland sei uns der höchste Gedanke – möge er bei uns künftig bleiben. Das sei das Gelöbnis unserer Zuversicht, mit dem wir Sie hier in Jena begrüßen: Ernst Arbeit wollen wir tun. (Langanhaltender Beifall.)
Weiter sprach der Fraktionsführer der DVP in der Nationalversammlung Dr. [Otto] Hugo. Er wandte sich insbesondere schlagend gegen die Ansicht, als ob der Liberalismus jetzt überwunden und nur die Demokratie noch in Deutschland möglich sei. Wie wenig in Wirklichkeit Demokratie und Sozialismus leisten, das hat die kurze Spanne Zeit politischer Arbeit in Weimar ja schon annähernd erwiesen, daß, wenn der Liberalismus wirklich schon begraben wäre, er jetzt wieder auferstehen müsste, (Bravo!) – jetzt, wo sich die Wahrheit des Wortes bestätigt, daß dem Sozialismus nichts Schlimmeres passieren könnte, als wenn er über Nacht zur Macht gelangte. Schon ist die neue Regierung, wenn auch noch widerwillig, gezwungen, auf bewährtes Altes zurückzugreifen; mit dem Sozialisierungstaumel ist in einer Zeit wirtschaftlichen Zusammenbruchs nichts anzufangen – in der Außenpolitik versagt die Sozialdemokratie völlig. Ein Deutschland der Zukunft muß aufgebaut werden auf den Fundamenten der Vergangenheit, auf dem Glauben, daß es die Persönlichkeit ist, nicht die Masse, die uns erlösen kann. Weder die Demokratie noch die Sozialdemokratie sind praktisch fähig, die große Führung des Wiederaufbaues Deutschlands zu übernehmen. Der liberale Gedanke muß wieder im Volke Wurzel schlagen und er schlägt sie! Das ist auf der einen Seite unsere große Mission. Der nationalen Triebkraft von unten wird einmal auch die internationale Idee weichen müssen. Die DVP wird sich im alten Geist zum neuen Deutschland bekennen, wie sie sich zum alten bekannt hat. Den unzulänglichen Methoden der Demokratie und des Sozialismus wird sie die erlösende Kraft des liberalen Gedankens gegenüberstellen, indem sie sich zugleich in erster Linie als Trägerin der vaterländischen Idee fühlt. In unserer Fraktion in Weimar herrscht völlige Geschlossenheit. (Bravorufe!) Die Partei steht im Zeichen starken politischen Lebens, sie zeigt sich als junge lebensstarke Partei. Es braucht uns nicht um ihre Zukunft zu bangen, wenn wir nur den richtigen Ton für das deutsche Herz finden. Der Redner schloß mit einem dreifachen Hoch auf die Deutsche Volkspartei mit ihren hohen Zielen und starkem Wollen. (Lebhafter Beifall.) […]
Quelle:
Jenaische Zeitung vom 13.4.1919
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246815/JZ_Jenaische_Zeitung_169419428_1919_0482.tif