In Memoriam Kurt Eisner: Der Nachruf seiner Frau
Die Weltbühne veröffentlicht den Nachruf Else Eisners über ihren ermordeten Mann. Diesen richtete sie direkt an den Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn, um ein paar Ergänzungen und Klarstellungen in dessen Nachruf auf Eisner vorzunehmen.
Volltext:
Die Schreiberin dieses Briefes, die gebeten wurde, seine Veröffentlichung zu erlauben, erwiderte: „Gern – wenn mitgeteilt wird, daß ich nicht an Veröffentlichung gedacht habe.“
Krumbach in Schwaben, 25. März 1919
Verehrter Herr Jacobsohn!
In meinem stillen Erholungsnest bei Gustav Landauer lese ich Ihre guten Worte über meinen Mann.
Mit den Bemerkungen über Kurt Eisners Menschenkenntnis sind Sie nicht ganz im Bilde. Er hat so merkwürdig auf schlechte Menschen reagiert, daß man ihn schon genau kennen mußte, um sich nicht täuschen zu lassen. In der Tat war er ein Menschenkenner und Psychologe, dem aber zu seiner Revolution die großen Mitmenschen fehlten, die Mitarbeiter, mit denen er alle wichtigen Stellen hätte besetzen können. Das war die Tragik der ersten Revolution. Er wagte trotzdem den Kampf, er fürchtete sich nicht vor schlechten und berechnenden Menschen, ging ihnen nicht aus dem Wege, schickte sie auch nicht fort, gab aber niemals den Glauben auf, durch sein großes Beispiel erzieherisch zu wirken. Er war Pädagoge der Tat und hat sich die wenigen zuverlässigen Helfer der Revolution in mühsäliger Aufklärungsarbeit schon vor dem Januar-Streik 1918 in den Diskussionsabenden erzogen, einzeln um ihre Seelen geworben.
Seine ganze öffentliche schriftstellerische Tätigkeit war ein Opfer für die Partei, deren heftigster Ankläger er immer gewesen war und geblieben ist, der er sich dennoch hingab, um für die Arbeiter, für die ganze Menschheit zu wirken. Er erlöste diese Klasse, obwohl er die unaufgeklärte Masse kannte und in seinen Reden ihre Fehler geißelte. Aber er tat es, um einer zukünftigen bessern Jugend das Leben zu erhellen. Er wurde Bayerns Ministerpräsident, obwohl er in seinem Leben jedes Amt verachtet hatte und es immer in dem Augenblicke verließ, wo seine innere Freiheit bedroht wurde (auch wenn ihm Sorge drohte). Er blieb Ministerpräsident, obwohl ihm dieses Amt die schwersten arbeitüberbürdeten, undankbarsten, unruhigsten Tage seines Lebens brachten, er blieb, weil seine Mission nicht vollendet war.
Das Werktags-Menschentum konnte ihn nicht verstehen, denn er war ein Philosoph, dem nur die großen Linien wesentlich waren. Er hatte das Orientalische – das mit dem modernen feigen Geschäfts-Judentum nichts zu tun hat -, das weise Indiertum, sich nicht gegen die Feinde und gegen die Gemeinheit zu wehren. Zu verschwinden, wenn niemand es erwartete, nichts festzuhalten, alles hinzugeben.
Kurt Eisner las in den Hirnen der Menschen und hat sehr häufig die Wut der Parteigenossen erregt, weil er diesen und jenen Streber wegen Verfehlungen angriff, die dem normalen Betrachter erst nach Jahren zu Bewusstsein kamen. Oft hat er mir in witzigen Epigrammen charakterisiert, was in einer Sitzung oder Versammlung erst geschehen sollte. Und es traf so ein. Viele Leiden und Hohn hatte er zu ertragen, weil er weiter sah als der gewöhnliche Mensch und politische Ereignisse zehn Jahre früher verkündete. Die Leute, die ihn verhöhnten, als er die preußische Sozialdemokratie zu der Beteiligung im preußischen Landtag, zur Arbeit aufforderte, übernahmen später die Mandate.
Er war nicht nur Kenner der Menschen, der Parteien, auch der Internationale, und er war in Deutschland der einzige Schriftsteller und sozialistische Politiker, der die Wichtigkeit der ausländischen Politik jahrelang vergeblich öffentlich aussprach. Seine Broschüre „Der Sultan des Weltkriegs“ ist eine geniale Prophetie der Sachkenntnis, blieb vor mehr als einem Jahrzehnt unbeachtet und kommt nun zu spät an die Oeffentlichkeit. Ich war Zeuge, als in den Tagen des Kriegsausbruchs mein Mann im bayrischen Landtag erklärte, die Engländer blieben nicht neutral. Und er begründete diese Auffassung. „Sie sind verrückt geworden“, sagt der „Realpolitiker“ [Erhard] Auer [SPD, Anm.] entsetzt, und der gleichen verhängnisvollen Unkenntnis gaben sich alle kurzsichtigen deutschen Politiker hin, bis zu Bethmann Hollweg hinauf.
Wenn ich in einiger Zeit gesund zur Arbeit geworden bin, werde ich die Geschichte meines Mannes schreiben. Es ist ein einziger dornenvoller Weg des hellstehenden, zähen Kämpfers gegen die Aengste der Kleinmütigen, die Kurzsichtigeit der Dilettanten, die Unfähigkeit der Pfuscher, deren Haß dieser harte und dennoch gütige Kämpfer auf sich geladen hat. Hart gegen die Feinde der Menschheit, die Kapitalisten, die Ausbeuter, die Unvernünftigen, die Phrasenhelden, gütig zu den Gläubigen der Zukunft.
Kurt Eisner kannte die Menschen in ihren Arten, Abarten, Unarten, er schützte sich dennoch nicht gegen seinen Idealismus und seine Ueberlegenheit nicht auf, sondern mußten sich selbst im niedrigsten Unflat wälzen, um ihn bespritzen zu können. Er sagte wie ein Andrer aus seinem Geschlecht: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Er kannte die Menschen so sehr, daß er wußte, daß es keine Rettung vor ihnen hab, als für sie zu sterben.
Else Eisner
Quelle:
Die Weltbühne vom 10. April 1919, 15:16 (1919), S. 403 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Eisner#/media/File:KurtEisner1919.jpg