Thomas Mann: Die Regierung ist bald weg!
Mann hat gut zu tun. Er erhält sogar Fanpost. Zudem berichtet er von den politischen Gegebenheiten, und davon, dass sich die Regierung wohl nicht mehr lange halten wird. Außerdem liest er wieder mit Begeisterung. Und er denkt darüber nach, wie seine Gesamtausgabe aufgebaut sein wird.
Volltext:
Sonnabend den 26. IV.
K. Untertemperatur; sieht ziemlich schmal und müde aus. Dringe auf reichliche Nahrung. - Schrieb weiter. Fragte bei der Boy-Ed brieflich u. bei Schwegerle telephonisch wegen des Hamburger Senatorenkostüms an. – Einige Post, sogar ein Verehrungsbrief, weiblicher stud. Karten aus Polling. – Mittags K.'s Vater, der die Büste ebenfalls frappant ähnlich fand. Den Aufsitz auf dem Ornament, der beanstandet wird, zu ändern, weigert sich Schwegerle. – Nach Tische im Schlußkapitel des »Mittelalters« gelesen, das sehr fesselnd. Im Bette gestern begann eine Hundegeschichte von Tschechoff, besser, als ihre Umgebung. - Nachmittags gehustet. Zum Thee K.'s Mutter. In der Stadt große Werbeplakate für die Rote Garde: »Die Bourgeoisie rückt an, um euch des Errungenen zu berauben.« Die Soldversprechungen sehr hoch, aber »eiserne Disciplin« wird zur Bedingung gemacht. Niemand glaubt, daß die Regierung noch länger als 8 Tage bestehen wird. – Dachte heute wieder daran, während der Arbeit am Zbg. und einige Zeit nach den Idyllen meine Essays gesammelt herauszugeben, die später einen Band der Gesamtausgabe bilden sollen. - Ging nicht mehr aus. Las K. Geschichten von Tschechoff vor. Trug Lisa eine Weile im Wochenzimmer herum. Telephonierte mit Amann über K.'s Befinden. Er wird morgen kommen. Las während meines Abendessens die Hundegeschichte von Tschechoff zu Ende, die mich amüsierte. Abends »Mittelalter«.
Quelle:
de Mendelssohn, Peter (Hrsg.), Thomas Mann. Tagebücher 1918-1921, Frankfurt am Main 1979, S. 212 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Mann#/media/File:Thomas_and_Katia_Mann.jpg