Abschied von Weimar
Nach der Wahl des Reichspräsidenten, der Ausarbeitung der Verfassung und der Ratifizierung des Friedensvertrages bleibt für die Nationalversammlung noch ein großer Akt zu tun. Nun nach der Inkrafttretung der Verfassung am 14. August kann Ebert auch auf selbige vereidigt werden. Der Amtseid ist für das hohe Haus ein feierlicher Moment, um Abschied zu nehmen von Weimar.
Volltext:
Präsident Fehrenbach führt den Reichspräsidenten Ebert, der um 5 Uhr, geleitet vom Vorstande der Nationalversammlung und gefolgt vom Reichskanzler und den Reichsministern den Sitzungssaal betritt, unter Orgelklang auf den vor der Präsidententribüne vorbereiteten Platz zur Vornahme der
Vereidigung.
Präsident: Herr Präsident! Art. 42 unserer in Kraft getretenen Reichsverfassung ordnet an, daß Sie vor versammelter Volksvertretung den Eid zu leisten haben. Ich habe zur Vornahme dieser ernsten feierlichen Handlung diese Sitzung anberaumt. - Ich bitte das gesamte Haus, sich von den Plätzen zu erheben.
(Das Haus erhebt sich.)
(Der protokollführende Schriftführer überreicht dem Präsidenten Fehrenbach die Eidesformel, der sie dem Reichspräsidenten übergibt.)
Reichspräsident Ebert: Herr Präsident! Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, die Verfassung und die Gesetze des Reichs wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
(Reichspräsident Ebert legt die Eidesformel in die Hände des Präsidenten der Nationalversammlung zurück. - Orgelspiel.)
Präsident: Herr Präsident! Durch die Leistung des Eides auf die Verfassung sind Sie dem deutschen Volke verpflichtet worden, das durch seine erwählten Vertreter Sie an die Spitze der Deutschen Republik berufen hat. Namens des deutschen Volkes beglückwünsche ich Sie und spreche die Überzeugung aus, daß Sie das in Sie gesetzte Vertrauen erfüllen werden. Sie sind aus dem Volke hervorgegangen. Wir beide, die heute bei diesem denkwürdigen Vorgang einander gegenüberstehen, wissen und bekennen es mit frommen Angedenken an unsere heimgegangenen Eltern, daß bescheidene Heimstätten im Badener Land am Fuße des Odenwaldes und auf den Höhen des Schwarzwaldes die Tage unserer Kindheit beschirmten. Sie werden immer ein treuer Freund des arbeitsamen Volkes sein, dem Sie Ihre Lebensarbeit gewidmet haben, Sie werden auch immer ein Hort des Vaterlandes sein, dem Sie nach besten Kräften zu dienen gesucht, dem Sie in dem fürchterlichen Kriege die schmerzlichsten Opfer gebracht haben, da von den vier Söhnen, die Sie unter die Fahnen stellten, zwei nicht mehr ins Vaterhaus zurückgekehrt sind.
Es ist ein dornenvolles Amt, das in der schwersten Zeit des Vaterlandes auf Ihre Schultern gelegt wird. Aber mit ruhigem Gewissen können Sie jede Schuld und Verantwortung an der trostlosen Lage des Reichs ablehnen. Sie suchten Fortschritt, Freiheit und soziale Wohlfahrt nur in ruhiger Entwicklung zu erreichen. Große politische Vorgänge wirken wie Naturereignisse, unabwendbar und unbezwinglich. Auch bei einem anderen Ausgang des Krieges wäre bei den ungeheuren Opfern des Volkes das Kaiserliche Deutschland nicht mehr dasselbe geblieben. Aber mit dieser Niederlage waren auch die Würfel über Staatsform und Dynastie gefallen. Das sollten jetzt auch diejenigen anerkennen, die den alten Einrichtungen im Herzen die Liebe bewahren möchten.
Möge es Ihnen, Herr Präsident, beschieden sein, das ganze deutsche Volk wieder zu einen in vaterländischer Gesinnung, zurückzuführen zu Ordnung und Arbeit und die Wege zu weisen zu langsamem, aber sicherem Aufstieg unseres geliebten Vaterlandes.
Reichspräsident Ebert: Herr Präsident! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben. Ich danke Ihnen ganz besonders dafür, daß Sie in Ihren Worten Erinnerungen an unsere gemeinsame, engere liebe Heimat mitklingen ließen.
Meine Damen und Herren! Sie vertreten alle Gaue Deutschlands. Das aber müssen wir uns erhalten, wenn wir unser Vaterland auf Grundlagen aufbauen wollen, die unvergänglich und unzerstörbar sein sollen: die innige Liebe zur Heimat, zum Volksstamm, dem der einzelne entsprossen ist. Und dazu soll kommen die heilige Arbeit am Ganzen, das Sichindienststellen in die Interessen des Reichs. Da löst sich der Widerspruch zwischen Gesamtstaat und Einzelstaat. Da, in der engeren Heimat, liegt die Quelle unserer Kraft, in der großen Heimat, das Ziel und der Kern unserer Arbeit. In diesem Geiste lassen Sie mich zu meinem Teil die Verfassung halten, vertiefen und schützen.
(Bravo!)
Das Wesen unserer Verfassung soll vor allem Freiheit sein, Freiheit für alle Volksgenossen. Aber jede Freiheit, an der mehrere teilnehmen, muß ihre Satzung haben. Diese haben Sie geschaffen; gemeinsam wollen wir sie festhalten.
Aus Ihrem Vertrauen bin ich an die erste Stelle im Deutschen Reich gestellt worden, in Ihre Hand habe ich das Gelöbnis abgelegt, die von Ihnen für das deutsche Volk geschaffene Verfassung treu zu wahren. Ihr Vertrauen wird mir die Kraft geben, immer der Erste zu sein, wenn es gilt, Bekenntnis und Zeugnis abzulegen für den neuen Lebensgrundsatz des deutschen Volkes: für Freiheit, Recht und soziale Wohlfahrt!
(Lebhafter allseitiger Beifall.)
Präsident: Herr Reichspräsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vereidigung des Reichspräsidenten hat auch die Stunde des Abschiedes von Weimar geschlagen.
Wir sind vor mehr als einem halben Jahre der Großstadt und ihren Gefahren aus dem Wege gegangen und haben für unsere Arbeit das kleine, aber jedem Deutschen ans Herz gewachsene Weimar auserlesen, als eine Stätte, in der von jeher die Werke des Friedens blühten, die Offenbarungen hoher geistiger Kultur ihre Erstehung feierten. Hier hatte Herder den Stimmen der Völker in Liedern gelauscht, hier suchte der große Lebenskünstler Goethe in olympischer Ruhe und abgeklärter Gelassenheit der politischen Wirren Herr zu werden, während sein Genius das deutsche Volk mit unsterblichen Gaben beschenkte. Hier verzehrte sich die dramatische Gestaltungskraft, der ideale Schwung, der glühende Patriotismus unseres Schiller in jenen schwülen Tagen um die Wende des vorigen Jahrhunderts. Nach diesem Weimar zog es uns hin, und etwas durften wir dabei auch denken an die freundliche Lage der Stadt und ihrer waldreichen Umgebung und an die Schönheit ihres Erholung spendenden Parkes. Was wir von Weimar erhofften, haben wir gefunden, und unser Abschied vollzieht sich nicht ohne eine gewisse Wehmut.
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Quelle:
Stenographische Berichte der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 86. Sitzung vom 21. August 1919
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000013_00626.html
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Nationaltheater_und_Staatskapelle_Weimar#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_146-1978-042-11,_Weimar,_Vereidigung_Reichspräsident_Ebert.jpg