Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Die Zukunft der Weimarer Republik

Welche Vorstellungen besaßen die Menschen der Weimarer Republik von ihrer Zukunft oder der Zukunft ihrer Kinder? Jenseits all der politischen Krisen und wirtschaftlichen Probleme sind futuristische Gedankenspiele - wie auch heute - 1919 populär. Der Bauhaus-Architekt Bruno Taut entwirft in dieser fiktiven Rede des europäischen Bundeskanzlers vor dem Europäischen Parlament im Jahr 1993 ein sehr schillerndes Bild. Europa lässt das Morden einfach sein und baut stattdessen die Alpen um. Wozu? Weil mans kann offenbar. Nach der künstlerisch ansprechenden Ausleuchtung der Alpen soll die Gestaltung des "astralen Raumes" das nächste Riesenprojekt sein, obwohl der ökonomische Sinn dessen nicht klar wird. Auch dass Taut annimmt, im zukünftigen europäischen Parlament säßen gar keine weiblichen Abgeordneten, wirkt seltsam.

Glashaus-Pavillon - von Bruno Taut entworfen

Volltext:

Rede des Bundeskanzlers von Europa am 24. April 1993 vor dem Europäischen Parlament

Meine Herren Europäer, Tage großer Mühsal und Aufopferung liegen hinter uns, seit ich das letztemal die Ehre hatte vor Ihnen zu sprechen. Voll Dankbarkeit gedenken wir des Opfermutes der wackeren Männer, die ihr Leben im Dienst der Idee und des Friedens in die Schanze geschlagen haben. Ich bitte Sie sich zur Ehrung der, leider, allzu zahlreiche Opfer bei der Aufrichtung des riesigen Baugerüstes am Matterhorn von den Plätzen zu erheben. [Geschieht,] Tief beklagenswert sind die Tausende von Hinterbliebenen von all den braven Helden, die in den vielfachen Gefahren der Bauarbeiten inmitten der Gletscherwelt gefallen sind. Möge Ihnen der Gedanke an das große Ziel tröstlich sein, dem sich Ihre Toten geweiht haben, und für das wir gern alle unser Leben einsetzen. Was wir können, wollen wir tun, um das Los der Betroffenen, der Verwundeten, der Waisen und Witwen zu lindern.

Meine Herren, eine Generation, 30 Jahre, sind seit dem Beginn des großen Alpenbaus vergangen, und immer ist noch kein Ende abzusehen, wenigstens nicht in greifbarer Nähe. Und doch: Wie dankbar müssen wir unseren Vätern sein, daß sie es unter Aufbietung aller Energie verstanden haben die Staaten Europas zu gemeinsamer Arbeit am schweren Werk des Friedens zu gewinnen. Heute, wo uns unter der Last der Arbeit und mehr noch der Mittel, die das bisher Geschaffene erforderte, und unter den ungeheuren uns noch bevorstehenden Aufgaben fast der Mut zu sinken droht, lohnt es sich einmal auf das zurückzublicken, was geschehen ist, und uns für unsere Kinder im Geist an dem zu erfreuen, was noch zu tun ist. [Es werden große Lichtbilder vorgeführt.]

Wir haben von der italienischen Ebene aufwärts bis in Höhen von fast 3000 Metern das ganze Vorgebirge südlich des Monte Rosa bis zum Lago Maggiore so umgestaltet, daß wir uns nicht zu schämen brauchen. Wohl fehlt hier und da noch eine Feinheit. Doch bei weiterem Fortschritt nach der Höhe werden sich gewisse Stockungen in den Arbeiten und damit verbundene Pausen ergeben, die sich für so kleine Arbeiten vorzüglich eignen. Zudem ist die einmal geweckte Begeisterung so groß, daß die Umgegend des Lago Maggiore sicherlich nicht allzu lange auf eine Architektonisierung wird warten müssen. [Vorführung des Projekts.]

An Begeisterung fehlt es uns nicht. Aber, meine Herren Europäer, es fehlt an Geld. 865 Milliarden hat der 30jährige Bau bereits gekostet, auf zitka 500 weitere Milliarden wird das geschätzt, was vor uns liegt. Und da ich hier berufen bin die Bewilligung einer neuen Alpenanleihe von 100 Milliarden von Ihnen zu erheischen, so bitte ich Sie Ihre volle Aufmerksamkeit dem Plan der Monte Rosa-Kette zu widmen. [Projekt mit Erklärungen.] Unsere Architekten, Ingenieure und mit ihnen das ganze Heer unserer Bauleute haben bereits mit Eifer die Vorarbeiten an dieser allerschwierigsten Partie unseres Werkes begonnen. Näheres wird Ihnen bereits aus den Spezialfachberichten der verschiedenen Ausschüsse bekannt sein. Leider haben wir dabei das große Unglück am Matterhorn zu beklagen. Es werden alle Vorkehrungen getroffen, um derartiges in Zukunft zu verhindern. Aber ganz wird es sich nicht vermeiden lassen. Wir können trotzdem ruhig sein. Wir können uns sagen, daß diese Opfer wirklich nicht umsonst waren. Das alte Europa soll nicht einschlafen, es soll immer wacher werden und sich immer herrlicher schmücken.

Es gab einmal eine Zeit <sie ist nicht allzu lange her>, da schlief das alte Europa wirklich. Aber einen Schlaf mit den wildesten Träumen. Mord, Raub, Lüge, mit einem altertümlichen Wirt gesagt: Krieg, wütete, es konnte keine Wirklichkeit sein. Endlich erwachte das alte Europa aus seinem schrecklichen Traum, es erwachte, als es sich nicht mehr langweilte, als seine Arbeitermassen, seine Maschinen, seine Fabriken in eine andere Richtung gelenkt wurden als in die Herstellung von Gebrauchsgegenständen: Messer und Gabeln, Brücken, Eisenbahnen, Kanonen, Klosetts als Endzweck von so viel Kraftaufwand! Oder gab es doch eine höhere Idee? Jeder wollte möglichst gut leben, die Arbeiter schufen ihre soziale Bewegung: Aber gab es irgendwo ein Ziel aller guten Bildung und alles guten Essens?

Meine Herren, heute langweilt sich Europa nicht mehr. Wir haben ein Ziel, und wir haben große Schwierigkeiten bis dahin zu überwinden, daß uns fast der Atem ausgeht. Aber wenn Europa vor einem Dreivierteljahrhundert Milliarden auf Milliarden für Millionen von Blutopfern ausgeben konnte, soll es heute verzagen, wo es von einem Ziel des Glanzes, der Schönheit, des Friedens beherrscht wird? Heute weiß jeder, wofür er lebt. Er fühlt sich als einen gütigen Gedanken der Erde, des Heimatsterns, der sich schmücken will. Dieses Ziel läßt keinen untätig beiseite stehen. In kürzester Zeit stellte sich unsere ganze Industrie darauf ein; ja, ihre Aufgaben sind gewachsen. Und heute weiß jeder Arbeiter, an welchem Werk er mittun darf. Er sieht das Werk aufblühen und empfindet seine Schönheit. Das Sklaventum läßt sich nur in seinen Formen mildern; es wird aber erst dann überwunden, wenn allen die Begeisterung zu einer Idee eingepflanzt wird, vom gestaltenden Künstler bis zum Arbeiter an irgendeiner Maschine. Doch das sind für uns altbekannte Tatsachen.

Augenblicklich sind die Luftreisen der Arbeiter wichtiger. Die Reisen von Neugierigen zur Besichtigung des Baugebietes sind zurückgegangen. Wir wollen diese Zeit der Arbeitsstockung ausnutzen, um jetzt möglichst viele Arbeiter in größeren Luftschiffen und Luftomnibussen hinzuschicken, damit wir die Begeisterung der Arbeiter auf der alten Höhe halten und ihre Kräfte vor dem allerschwierigsten Teil befeuern können. Der Herr Beleuchtungsminister wird für die Vorführung der Tal-, Berg- und Glaskristallbeleuchtungen während der Nachtfahrten sorgen. [Das Lichtbild einer Bergnacht wird gezeigt.]

Meine Herren, vergegenwärtigen Sie sich, wie schön dieses Werk wird, wenn von der grünen Ebene herauf bis zu dem Massiv des Monte Rosa die Arbeit des Menschengeistes in Reinheit erstrahlt. Wir haben ja mit der Roheit auch die Sentimentalität zum alten Gerümpel geworfen; deshalb brauche ich Ihnen nicht mehr zu sagen. [Beifall. Bild des gesamten Baugebietes vom Monte Generoso gesehen.] Wir brauchen nicht zu befürchten, daß wir uns jede Möglichkeit des Vergleichs mit der natürlichen Beschaffenheit der Erdrinde nehmen. Der Mont Blanc soll ja vorläufig noch verschont bleiben. Und auch der Himalaya bleibt ganz gewiß vorläufig als Naturpark erhalten. Da aber Menschen doch einmal die Erdrinde überziehen und im frühern Schlendrian allzu gern überall schmutzartige Spuren zurückließen. <Sie kennen Nietzsches Wort von der Verhäßlichung der Welt durch Europa>, wollen wir da nicht froh sein, daß wir heute endlich klar sehen und in voller Absicht die Erde schmücken und bebauen?

Mit wahrer Freude erfüllt es mich dafür einstehen zu können, daß unsere Bauarmeen (wenn ich diesen veralteten Ausdruck einmal gebrauchen darf) fest in Sturm und Gefahren ausharren. Sie denken an das Ziel und erwarten, daß Sie ihnen Ihre Hilfe durch Bewilligung der notwendigen Mittel nicht versagen werden. Freilich ist das Ziel kein Ende: ein Ende gibt es nun mal in dieser Welt nicht. Doch das ist nun eine Angelegenheit des Herrn Astralministers. Er wird vielleicht noch einige Worte über die Notwendigkeit immer höherer Ziele als man sie in der Realität erstreben kann sprechen. Wie ich höre, hat er eine ganz unbekannte Schrift unseres Astralklassikers Paul Scheerbart entdeckt. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. [Tumulthafter Beifall. Nur die kleine Gruppe der ollen Onkels sitzt wie steife Stöcke da.]

Quelle:

Sozialistische Monatshefte Nr. 11 vom 25.8.1919

In: http://library.fes.de/cgi-bin/digisomo.pl?id=SOHE1919-08-25&dok=1919/1919-08-25&f=1919_0773&l=1919_0858&c=1919_0822

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Taut#/media/Datei:Taut_Glass_Pavilion_exterior_1914.jpg

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
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[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
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[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)