Eberts Eid - Hugenbergs Hetze
Nach der Ausarbeitung und Verabschiedung der Verfassung ist die Arbeit der Nationalversammlung keineswegs weniger spannungsreich. Die Lesung eines Gesetzes zur Erbschaftssteuer ist Anlass für wüste Szenen in der Volksvertretung. Alfred Hugenberg - Mitglied der DNVP (und nicht DVP) - ist bis dato ein unbekannter Akteur. Im Laufe der 1920er wird er als Parteivorsitzender und Medienmogul zu einer zentralen Figur der extremen Rechten.
Aber es gibt auch schöne Momente. Mit viel Pathos wird Ebert auf die Verfassung vereidigt und die Presse erkennt darin eine größere Bedeutung.
Volltext:
Stürmische Szenen in der Nationalversammlung.
Die Mittwochsitzung der Deutschen Nationalversammlung war bis zur Mittagspause der Erledigung der Erschaftssteuer gewidmet. Diese Sitzung darf das deutsche Volk niemals vergessen, und wenn je eine konterrevolutionäre Welle den Feld der Republik in Gefahr bringen sollte, wenn die Sendlinge des Monarchismus ihr Locklied in allen Gassen anstimmen sollten, dann möge die Erinnerung an den 20. August 1919, an jenem Tage, an dem die rechten Parteien ihren "Patriotismus" in der wahren Gestalt enthüllt haben, ihnen aus dem Volke entgegenschallen. Diese Enthüllung wiegt alle Erzbergerschen auf! - Die Erschaftssteuer hat von jeher in der deutschen Parlamentsgeschichte eine große Rolle gespielt: ihretwegen mußte Bülow im Jahre 1909 - zehn Jahre sind es also knapp - aus der Reichskanzlei scheiden, die er doch so liebte. Aber die Konservativen waren damals noch Trumpf. Sie zogen die Stirne kraus, und Bülow flog. Heute, zehn Jahre später, ziehen die Herren von der Deutschnationalen und von der Deutschen Volkspartei - was das Volk nur in ihren Namen zu suchen hat? - die Stirne gewaltig kraus, noch krauser, am krausesten, denn es ist ja nicht nur die Erbschaftssteuer allein, die ihnen schwer im Magen liegt. Ihre Mißstimmung erhält erst die richtige Würze dadurch, daß Erzberger dahinter steckt, der dreimal von ihnen Verfluchte. Hinzugekommen ist dann auch noch, daß Helfferichs sehnlichster Wunsch nach der Anklagebank in Erfüllung gehen soll! - Graf Posadowsky gab, die Verhandlungen einleitend, für die Deutschnationalen die Erklärung ab, daß seine Fraktion die Erledigung der Vorlage mit allen Mitteln verhindern werde, wenn die im ursprünglichen Tarife der Vorlage vom Ausschuß vorgenommenen Erhöhungen angenommen würden. Nun, das Haus ließ sich nicht bange machen und nahm die Erschaftssteuer mit den der Rechten so unangenehmen hohen Sätze bei den großen Erbschaften an; auch die Paragraphen, die das Gatten- und Kindererbe besteuern, wurden angenommen, trotz Hampe (Dntl.) und Maretzky (D. Vp.). Unsern Parteistandpunkt vertrat Genosse Keil, der betonte, daß die Vorlage gewiß nicht alle unsere Ideale erfülle, aber jeder Tag der Verzögerung bedeute einen gewaltigen Verlust. Der Unabhängige Wurm mußte sich schweren Herzens offenbar dazu bequemen, anzuerkennen, daß die Vorlage ein
erster Schritt auf dem Wege zur grundsätzlichen Sozialisierung
der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sei. In der Einzelberatung ging Genosse Katzenstein nochmals mit der Rechten ins Gericht. Vor der Schlußabstimmung gaben Dr. Becker-Hessen und Graf Posadowsky nochmals die Erklärung ab, daß ihre Fraktionen die Vorlage ablehnen würden. Immerhin fanden sich einige Deutschnationale, die für die Vorlage stimmten; die Stimme des Volkes schreckt sie. - In der Nachmittagssitzung wurde zunächst der Anleihekredit und die Vorlagen betreffend Ausführung des Friedensvertrages in zweiter Lesung beraten. Der Zorn der Rechten über die am Vormittage erlittene Niederlage entlud sich in einer Schimpfrede des deutschen Volksparteilers Dr. Hugenberg. Um Erzberger ihr Mißtrauen zu bezeugen, werde seine Fraktion von den beantragten 9 Milliarden nur 8 bewilligen. Nach dieser lächerlichen Demonstrationsgeste legte der schwerindustrielle Herr gegen Erzberger los. Die vorgesehene Prämienanleihe lehnte er ab. Seine Ausführungen über die Friedensvorlagen benutzte er zu einer überaus heftigen Attacke gegen die "Parteiregierung"! Die Verteidigung der Regierung und seiner eigenen Person übernahm sofort der Reichsfinanzminister. Herr Hugenberg hatte es ihm sehr leicht gemacht, und so wurden denn Erzberger wuchtige Schläge von dem lebhaften Beifall der Mehrheit begrüßt, während die Rechte in einen Taumel der Wut geriet und einen Ton in den Zwischenrufen anschlug, der sich von den Liebenswürdigkeiten kaum unterschied, die in den Kaschemmen des Berliner Scheunenviertels ausgetauscht wurden. Der Demokrat Haas verteidigte nach ihm mit eindrucksvoller Begründung das parlamentarische Regierungssystem.
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Die Vereidigung des Reichspräsidenten und der Reichsminister.
Weimar, 21. Aug. Nach der Vereidigung des Reichspräsidenten empfing derselbe die Reichsminister mit folgenden Worten:
"Nachdem die Verfassung in Kraft getreten ist und die Vereidigung des Reichspräsidenten auf sie stattgefunden hat, haben gemäß Artikel 176 der Verfassung auch alle Beamten des Reiches den Eid auf sie abzulegen. Als erste Beamten des Reiches bitte ich Sie die Ablegung dieses Eides hier vorzunehmen, indem Sie mir nachsprechen:
"Ich schwöre Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten."
Nach der Eidesleistung der Reichsminister forderte der Reichspräsident in einer Ansprache seine Amtsgenossen auf, in treuer und unermüdlicher Pflichterfüllung nach bestem Wissen und Gewissen alle Kräfte in den Dienst des Reiches, des geliebten, jetzt so unglücklichen deutschen Vaterlandes zu stellen.
Quelle:
Volkszeitung für Sachsen-Weimar-Eisenach Nr. 195 vom 22.8.1919
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00212318/WVZ_1919_07-09_0619.TIF?logicalDiv=jportal_jpvolume_00145907
Bild 1:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Ebert#/media/Datei:Friedrich_Ebert.jpg
Bild 2:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hugenberg#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-2005-0621-500,_Reichsminister_Alfred_Hugenberg.jpg