Eine monarchische Revolution ist ein Verbrechen!
Kessler schreibt von seinen zukünftigen Karriereplänen sowie seinem Eindruck von der Rede Erzbergers in der Nationalversammlung. In prägnanter Form schreibt Kessler dann von einer Unterhaltung, die er am Abend führt, in der sein Freund Victor Naumann eine monarchische Revolution zur Sprache bringt. Kessler positioniert sich explizit gegen eine solche, da er sie “für ein Verbrechen” hält.
Volltext:
12 August 1919. Dienstag Weimar.
Vandevelde frühstückte bei mir. Wir besprachen seine Neuetablierung in Weimar und meine eventuelle Sendung nach Brüssel. Er sucht hier Geld für Ateliers zu finden. Seine staatliche Ernennung scheint nicht mehr in Frage zu stehen. Er will als Privatmann herkommen. Glaubt hier genügend Aufträge zu finden. Mir versprach er, falls ich den Posten angeboten bekäme, für mich in Brüssel zu sondieren, ob ich dort genehm sein würde. – Nachmittags in der Nationalversammlung, wo ein Stück von Erzbergers grosser Finanzrede gehört; er sprach klar und gut und erntete stellenweise breiten Beifall. - Abends assen Dernburg, Schiffer, Stockhammern, Victor Naumann und der Berner Lasswitz bei mir. Zweckessen, das Naumann eingerichtet hatte, um den Wiedereintritt der Demokraten in die Regierung und die Absägung Hermann Müllers, die ihm besonders am Herzen liegt, zu fördern. Wie immer kam das Eigentliche erst am Schluss gegen Mitternacht zur Sprache. Schiffer u Dernburg äusserten ihre Ansicht dahin, dass die Demokraten wiedereintreten müssten, aber nicht um zu bremsen, wie bisher, sondern um die Führung zu übernehmen. Leider will Dernburg, wie er sagt, eine klar kapitalistische Basis, mit der Modifikation, dass der Kapitalismus zu grossen Opfern bereit sein soll, und dass die Betriebe demokratisiert werden. Mit diesem Programm könnte ich mich nicht einverstanden erklären. Dernburg will den Eintritt erzwingen, indem er droht, dass die demokratische Partei sonst in die Opposition geht. Naumann hat unklare monarchische Bestrebungen zugunsten des Kronprinzen Rupprecht, dessen Agent er mehr oder weniger zu sein scheint. Ich erklärte ihm bestimmt, dass ich eine monarchische Gegenrevolution unter keinen Umständen mitmachen würde, da ich sie für ein Verbrechen hielte. Die ganze Gesellschaft hinterliess bei mir politisch einen sehr unangenehmen Nachgeschmack.
Quelle:
Reinthal, Angela (Hrsg.), Harry Graf Kessler. Das Tagebuch Siebter Band 1919-1923, Stuttgart 2004, S. 259.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Graf_Kessler#/media/Datei:Kunsthalle_Weimar_4_2013_03.JPG