Ernst Haeckel †
Der Biologe Ernst Haeckel gehört zu den bedeutendsten Ehrenbürgern der Stadt Jena. Seine Erkenntnisse auf dem Gebiet der Evolutionslehre trugen wesentlich zur Weiterentwicklung des Darwinismus bei, wofür er zahlreiche Ehrungen erhielt. Als liberaler Kulturpolitiker und Autor war er gleichzeitig ein entschiedener Gegner von sozialdarwinistischen Bestrebungen. Sein Tod am 9. August traf nicht nur Jena hart.
Volltext:
Unsere Stadt und unsere Universität haben einen überaus schmerzlichen Verlust erlitten: Professor Dr. Ernst Haeckel ist in vergangener Nacht im 86. Lebensjahre gestorben, nachdem schon in den letzten Monaten sein Gesundheitszustand sich bedeutend verschlechtert hatte. Vor einigen Tagen erst stieß ihm im Zimmer durch einen Sturz ein zweiter Unfall zu, so daß er ans Bett gefesselt war. Ein sanfter Tod erlöste ihn in der vergangenen Nacht von seinen Leiden.
Ernst Haeckel (geboren am 16. Februar 1834 in Potsdam) ist, wie so viele große Naturforscher, auf dem Wege über die Medizin zur Naturwissenschaft gekommen. Im Jahre 1857 promovierte der damals dreiundzwanzigjährige Schüler von Joh. Müller, Virchow und Kölliker an der Berliner Universität zum Doktor der Medizin, und ließ sich dann für kurze Zeit in Berlin als praktischer Arzt nieder. Doch bald erkannte er in der Zoologie und vergleichenden Anatomie seine eigentliche wissenschaftliche Lebensaufgabe. Er ging nach Italien, um an den Küsten des tyrrhenischen Meeres die Tiefseefauna zu studieren, und veröffentlichte nach der Rückkehr das berühmte Buch über die Radiolarien. 1861 habilitierte er sich in der medizinischen Fakultät der Universität Jena für vergleichende Anatomie, wurde 1862 Extraordinarius in der medizinischen, 1865 Ordinarius der Zoologie in der philosophischen Fakultät der thüringischen Hochschule, die ihren guten, alten Ueberlieferungen getreu - und nicht am wenigsten durch Ernst Haeckels Verdienst selbst - auch in den letzten Jahrzehnten stets eine Hochburg der freien Forschung und Lehre gewesen ist. Er hat ihr seitdem unverbrüchlich die Treue gehalten. Ehrenvolle, zum Teil glänzende Berufungen nach Würzburg, Wien, Straßburg und Bonn lehnte er ab. Beim Eintritt in das 75. Jahr seines ruhm- und erfolggekrönten Lebens zog er sich von seiner Lehrtätigkeit zurück, nachdem er noch beim Universitätsjubiläum im August 1908, umgeben und gefeiert von deutschen und ausländischen Fachgenossen, die Einweihung des "Phyletischen Museums" für Entwicklungslehre hatte vollziehen dürfen. Was Haeckel als Naturforscher, als Forschungsreisender, als Schriftsteller, als Künstler und nicht zuletzt als Vorkämpfer und Fortbildner der Entwicklungslehre und Mitbegründer einer neuen Weltanschauung für die Kulturmenschheit geleistet hat, das hat ihm die dankbare Mitwelt seitdem wiederholt, und besonders einhellig und eindringlich noch zu seinem achtzigsten Geburtstag, freudig bezeugt.
Professor Haeckel ist äußeren Ehrungen abholb gewesen. Dem wirklichen Geheimen Rat mit dem Titel Exzellenz konnte er sich, nachdem er sich viele Jahrzehnte lang mit dem schlichten Professor begnügt hatte, nicht entziehen. Einen Orden, mit dem das Adelsprädikat verbunden war, lehnte er ab. Aber die Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Jena, mit der er in großer Liebe verbunden war, nahm er mit Freuden an. Haeckels Ruhm, der über die ganze Erde verbreitet ist, wird immer auf Jena zurückstrahlen, der Stätte, die ihm ein trauliches Heim geboten hat.
Das "Jenaer Volksblatt" verliert in Haeckel nach Ernst Abbe seinen bedeutendsten Mitarbeiter. Freilich ist die Zahl seiner Beiträge nicht groß, denn der Tagespresse stand der Gelehrte im allgemeinen fern, obwohl er ihre Bedeutung stets richtig eingeschätzt hat. So sandte er uns nach Kriegsausbruch einen flammenden Artikel über "Englands Blutschuld am Weltkrieg", der mit Recht bedeutendes Aufsehen erregt hat. Daß der Krieg mit der Niederlage Deutschlands geendet hat, bereitete dem glühenden Patrioten tiefen Schmerz und verdüsterte seinen Lebensabend. Nun hat auch er, dessen ganzes Leben ein Kampf war, ausgekämpft.
Er ruhe in Frieden!
Quelle:
Jenaer Volksblatt Nr. 185 vom 10.8.1919
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00259108/JVB_19190810_185_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jparticle_00638904
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Haeckel#/media/Datei:ErnstHaeckel.jpg