Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

DE | EN

Ich lehne jede Stellungnahme gegen Gropius ab!

Kessler hat eine Unterredung mit dem ständigen Korrespondenten des “Matin”, der erfreulicherweise berichtet, dass nicht alle Franzosen Deutschland hassen. Der erwähnte Sozialist Aristide Briand wird in späteren Jahren zusammen mit Gustav Stresemann den Friedensnobelpreis für ihre deutsch-französische Verständigungspolitik erhalten. Außerdem argumentiert Kessler in einer Diskussion strikt für den Verbleib von Walther Gropius in Weimar. Der Bauhaus-Chef ist noch nicht lange im Amt, aber hat bereits einige Feinde.

Volltext:

29. August. 1919. Freitag. Berlin.

Nachmittags besuchte mich der ständige Korrespondent des „Matin“ in Berlin, Camille Loutre. Er machte mir dieselben Eröffnungen wie Sauerwein, dass der Matin seine Politik auf geschäftliche Zusammenarbeit mit Deutschland einstelle. Er fügte hinzu, Sauerwein habe diese Kursänderung nicht unternommen, ohne sich massgebender Unterstützung zu vergewissern. Vor Allem sei er vollkommen eins mit „son ami“ Philippe Berthelot im Ausw. Ministerium in Paris. Diese Politik sei auch die von Briand; während Clemenceau nach wie vor den besinnungslosen Hass verkörpere. Briand werde nicht sofort ans Ruder kommen, sondern erst wenn die Situation sich mehr geklärt habe. Der Sozialismus habe als selbständige Macht in Frankreich keine Aussichten, weil Frankreich in überwiegendem Masse ein Land von Bauern und kleinen Rentnern sei, und noch nach dem Kriege trotz der Proletarisierung vieler kleiner Bourgeois. - Loutre fragte mich aus über Gegenrevolution u. Spartakismus; ich beruhigte ihn, aber nicht zu sehr. Sie sollen sich nicht zu sicher fühlen. Vor Allem wies ich auf die bevorstehende Kohle Katastrophe hin, in der Frankreich u Deutschland gemeinsame grosse Interessen hätten; wenn die Entente uns nicht helfe, sei nicht abzusehen, was geschehen könne. – Im Auto Club den Geh. Kommerzienrat Pochwaldt u Kämmer empfangen. Pochwaldt wegen Vandeveldes Wiederberufung nach Weimar. Er macht sich anheisig gegen „Kompensationen", d. h. Titel, 300 000 M für den Zweck aufzubringen. Baudert, der sozialdemokratische Staatskommissar, sei nicht abgeneigt, solche „Kompensationen“ gegen Bezahlung zu geben, Paulsen opponiere. Ich legte meinen Standpunkt dahin fest, dass mir die Frage der weimarischen „Kompensationen“ gleichgültig sei, Vandeveldes Berufung mir zwar am Herzen liege, ich aber keinesfalls Gropius durch Vandevelde depossedieren lassen wolle. Dieses um so weniger, als unter den Gründen, die Baudert (den Sozialdemokraten) gegen Gropius einnehmen (nach Pochwaldt), dessen spartakistische Umtriebe sein sollen. Die Kunstschule sei unter Gropius ein Herd des Spartakismus und des Judentums geworden. Ich lehnte um so energischer jede Stellungnahme gegen Gropius ab. – Nach Pochwaldt empfing ich Rubakin mit Tunsch. Rubakin kam mit seinem fertig ausgearbeiteten Plan für die Übersetzung meiner Broschüre ins Russische u die Propaganda der Idee in Russland. Er erklärte sich mit der Idee vollkommen solidarisch. Will sie noch in besondren Broschüren propagandistisch bearbeiten. 

Walter Gropius

Quelle:

Reinthal, Angela (Hrsg.), Harry Graf Kessler. Das Tagebuch Siebter Band 1919-1923, Stuttgart 2004, S. 267 f.

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Gropius#/media/Datei:WalterGropius-1919.jpg

Glossar anzeigen
Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
[BüttnerBüttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008.
[DNV]Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, hrsg. v. Ed.[uard] Heilfron, Bd. 1 bis 6, Berlin [1919].
[Ebert/Wienecke-JanzEbert, Johannes/Wienecke-Janz, Detlef, Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, Gütersloh/München 2006.
[EK]Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 1993.
[EtzoldEtzold, Hans-Rüdiger, Der Käfer II. Die Käfer-Entwicklung von 1934 bis 1982 vom Urmodell zum Weltmeister, Stuttgart 1989.
[GG]Gitta Günther: Weimar-Chronik. Stadtgeschichte in Daten. Dritte Folge: März 1850 bis April 1945 (Weimarer Schriften, Heft 33), Weimar 1987.
[GrüttnerGrüttner, Michael, Das Dritte Reich 1933-1945 (= Bd. 19, Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2014.
[HildebrandHildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 7. Aufl., München 2010.
[Kessler Tgbb]Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996.
[KittelKittel, Erich, Novembersturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 104 (1968), S. 42-108.
[KolbKolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 7. durchges. und erw. Aufl., München 2010.
[NiedhartNiedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, 2. aktualisierte Aufl., München 2010.
[O/S]Manfred Overesch/ Friedrich Wilhelm Saal: Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Düsseldorf 1992.
[Overesch/SaalOveresch, Manfred/Saal, Friedrich Wilhelm, Die Weimarer Republik, Eine Tageschronik der Politik, Wissenschaft Kultur, Augsburg 1992.
[PeukertPeukert, Detlef, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
[PK]Paul Kaiser: Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar (Weimarer Schriften, Heft 16), Weimar 1969.
[PM]Paul Messner: Das Deutsche Nationaltheater Weimar. Ein Abriß seiner Geschichte. Von den Anfängen bis Februar 1945 (Weimarer Schriften, Heft 17), Weimar 1985.
[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
[TofahrnTofahrn, Klaus W., Chronologie des Dritten Reiches. Ereignisse, Personen, Begriffe, Darmstadt 2003.
[UB]Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistungen und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
[VU]Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009.
[WinklerWinkler, Heinrich-August, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der Ersten deutschen Demokratie, München 1993.
[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)