"In einer Republik fehlt das Kaiserreich gewöhnlich"
Das Verfassungwerk ist abgeschlossen. In Berlin betreibt Hugo Preuß bereits Werbung für das Weimarer Werk welches - wie er selbst eingesteht - angesichts der drückenden Gesamtlage keine Jubelstürme im Volke auslösen wird. Aber: Diese Verfassung hat unvergleichliche Vorzüge. Parlamentarische Demokratie, soziale Demokratie, demokratischer Föderalismus und direkte Demokratie in Form der Volkswahl des Präsidenten. Dies sind laut Preuß nur die wichtigsten Kernpunkte des Verfassungswerkes, welches es Deutschland ermöglichen wird erneut "im Glanze zu erblühen".
Volltext:
Professor Hugo Preuß über die Reichsverfassung.
Im großen Saal der Philharmonie sprach gestern abend auf Veranlassung der Arbeitsgemeinschaft für staatsbürgerliche und wirtschaftliche Bildung Reichskommissar Professor Hugo Preuß über "Die neue Reichsverfassung". Der große Saal war schon lange vor Beginn überfüllt, so daß Hunderte von Personen keinen Einlaß mehr zu finden vermochten. Lebhaft begrüßt nahm Professor Preuß das Wort. "In mühsamer Arbeit ist die Verfassung nunmehr vollendet. Damit ist ein Ziel erreicht, das in den Hoffnungen und Befürchtungen der letzten Zeit vielen als unerreichbar erschien. Mit dem Abschluß dieser Arbeit ist ein wichtiger Schritt für die Neugestaltung des Vaterlandes getan. Freude oder Frohlocken über die Weimarer Verfassung kommt im allgemeinen nicht auf (Zuruf: Sehr richtig!), denn der düstere Schatten des Versailler Friedens fällt auf unser Werk (Zuruf: Und es fehlt das Kaiserreich!) Allerdings, aber in einer Republik fehlt das Kaiserreich gewöhnlich. Der furchtbare Frieden weckt Erinnerungen an die Kaiserproklamation vor fünfzig Jahren. Aus Waffensiegen war die Verfassung des kaiserlichen Deutschland hervorgegangen. Das in Kleinstaaterei zerrissene Volk war zu einer Großmacht geworden. Es wird jetzt die Erinnerung an Bismarcks Wort bei der Beratung der Verfassung geweckt, daß Deutschland, einmal in den Sattel gesetzt, auch werde reiten können. Die verflossene Gewaltpolitik hat wahrlich alle Mittel aufgewendet, um unser Volk die Reitkunst nicht lernen zu lassen. So brach der für Jahrhunderte errichtete Quaderbau nach fünfzig Jahren in sich zusammen. Unsere Niederlage entsprang nicht militärischen Gründen. Es war der Bankerott einer inneren und äußeren Politik, die einer Welt von Feinden gegenüberstand. Die Verfassung beruht auf einem Bündnis der Demokratie, Sozialdemokratie und des Zentrums. Diese drei an sich so verschieden gearteten Parteien werden auch weiterhin zusammenarbeiten müssen. Ich will nicht sagen, daß mit der Verfassung nun alle Gefahren überwunden sind. (Zuruf: Aha!) Aber Gefahren sind da, um ein politisch wachsames Volk zu finden. Beim Rückblick auf die letzten Monate muß man sich sagen: "Es geht aufwärts in nationaler Einheit." Und trotz der Republik haben wir den Gedanken des Reiches beibehalten. Die Frage nach der inneren Einteilung der Gebiete hat mit der Reichseinheit an Schärfe verloren. Die Grenzen verlieren in dem Maß an Bedeutung, wie das nationale Leben im Reich sich entfaltet. Ein Mittel hierzu ist der demokratisch-parlamentarische Aufbau. Demokratie und Parlamentarismus decken sich freilich einander nicht. Die Demokratie muß nicht parlamentarisch und umgekehrt der Parlamentarismus nicht immer demokratisch sein. Die Verfassung will nicht den Parlamentsabsolutismus schaffen. Diese Gefahr wurde durch die unmittelbare Wahl des Präsidenten aus dem Volke heraus beseitigt. Dieses Nebeneinanderstehen der beiden Potenzen schließt jede Willkür aus. Die moderne Demokratie muß stark betont sein. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Sozialdemokratie wenigstens zum großen Teil bei der Revolution ihre Demokratie zum Ausdruck gebracht hat. Eine Gefahr für die soziale Demokratie ist freilich der Gedanke des Klassenkampfes, doch ist zu hoffen, daß auf politischem Boden dieser Kampf abgeschwächt wird. Dem Rätegedanken ist so weit ein Recht zuzugestehen, als er sich in die Verfassung eingliedern läßt. Organisation des Rechtes, politische Freiheit und soziales Recht sind die Leitgedanken der Weimarer Verfassung gewesen. Erfüllt sich diese Gemeinschaft in gesellschaftlicher und politischer Art, so ist zu hoffen, daß durch die Macht der Ideen ein allmählicher Aufstieg zur inneren Stärke und Festigkeit möglich sein wird. So gelten auch für die neue Verfassung die Worte: "Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand! Blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!". (Lebhafter Beifall.)
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Quelle:
Berliner Tageblatt Nr. 356 vom 3.8.1919
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-08-03/27646518/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Preu%C3%9F#/media/Datei:Hugo_Preuß.jpg