Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Teilhabe führt zu Verantwortung

Das 1920 verabschiedete Betriebsrätegesetz ist ein Meilenstein der deutschen Wirtschaftsgeschichte mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen. Der hiesige Artikel beleuchtet die Auswirkungen des Gesetzes auf das Aktienrecht.

Volltext:

Betriebsrätegesetz und Aktienwesen.

Die "Frankf. Ztg." schreibt: Das der Nationalversammlung unterbreitete Gesetz über die Betriebsräte greift tief in das Wesen des Aktienrechts, der Aktiengesellschaften ein. Das Gesetz räumt den zu bildenden Räten das Recht ein, in die Aufsichtsratskollegien der auf Aktienbasis organisierten Unternehmungen 1 bis 2 ihrer Mitglieder nach besonderem, noch zu erlassenden Gesetze zu entsenden. Da in jedem Betriebe, der mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigt, das Rätesystem durchgeführt werden soll, wird so gut wie das ganze deutsche Aktienwesen von dieser Bestimmung erfaßt werden. Um ein völlig ausreichendes Bild von dem bedeutsamen Vorgang zu gewinnen, wird man zunächst das neue Gesetz, das angekündigt ist, abzuwarten haben. So viel aber läßt sich schon heute sagen, daß ein grundlegender Eingriff in das derzeitige Aktienrecht vorliegt. Das Prinzip, daß die Leitung einer Aktienunternehmung - Vorstand und Aufsichtsrat - als Beauftragte der Gesamtheit der Aktionäre, daher von der Generalversammlung zu wählen sind, wird durchbrochen. Die Verwaltungsmitglieder werden künftig nicht mehr sämtlich Vertreter der Interessen der Aktionärmehrheit sein, sondern, wie es dem Sinne und Zwecke des Gesetzes über die Betriebsräte entspricht, auch zum Teil sonderbeauftragte Hüter der Interessen der Arbeitnehmer. Das Mitverwaltungsrecht des Arbeitnehmers am Betriebe findet damit auch im deutschen Aktienwesen einen weithin sichtbaren Ausdruck. Die Bedeutung dieses Vorgangs ist außerordentlich, sie wird nicht erschöpft durch die in den meisten Fällen geringe Minderheit der Aufsichtsratssitze, die den Arbeitnehmern zufallen wird. Man darf hoffen und erwarten, daß dem bedeutsamen Rechte, das dem Arbeitnehmer zu Teil wird, auch sein Gefühl für Verantwortlichkeit und für die aus den Rechte erwachsenden Pflichten sich gewachsen zeigt. Als Mitglied des Aufsichtsrates wird dem Arbeitnehmer eine Fülle von Geschäftsgeheimnissen kund, er erhält genauen Einblick in das Arbeiten des Großbetriebs, in die verschlungenen Fäden der ganzen Arbeit. Das wird ihm ermöglichen, die Lebensnotwendigkeiten der Unternehmung kennen und verstehen zu lernen. Wird er seiner Aufgabe in bestem Sinne gerecht, so kann aus seiner Tätigkeit als Verwaltungsmitglied Gutes für das Gesamtunternehmen entspringen. Er wird auf die, die ihn als ihren Vertrauensmann zur Mitleitung der Geschäfte berufen haben, vermöge des ihm zuteil gewordenen Einblicks einen starken Einfluß zu üben vermögen, der dem Unternehmen zum großen Nutzen werden kann. Dabei ist freilich Voraussetzung, daß die zu wählenden Arbeiter-Aufsichtsratsmitglieder ihre Tätigkeit nicht nur als eine kontrollierende, einseitig die Arbeiterinteressen betonende auffassen, sondern daß sie, wie es in dem Gesetzentwurfe begründend heißt, in der Tat für einen möglichst hohen Stand der Produktion und für möglichste Wirtschaftlichkeit sorgen. Es wird also im wesentlichen von der Höhe der Auffassung, mit der die Arbeitnehmer ihr neues Recht künftig erfüllen werden, abhängen, ob sich die Neuordnung zu einem Fortschritt oder zu einem Hemmschuh der Entwicklung gestalten wird. Wir glauben, erwarten zu dürfen, daß die Arbeiterschaft ihrer neuen Aufgabe gerecht zu werden vermag. Der Geist des notwendigen Zusammenarbeitens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird, wenn er beide Gruppen erfüllt, die Unternehmung vor Schaden besser schützen vermögen, als die Strafbestimmung, die der Gesetzentwurf zur Sicherung der Betriebsgeheimnisse bringt. Zu beachten ist daher weiter, daß die Mitglieder des Aufsichts-Ausschusses auch unter einer allgemeinen strafrechtlichen Verantwortlichkeit stehen.

Quelle:

Volkszeitung für Sachsen-Weimar-Eisenach Nr. 188 vom 14.8.1919

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00212318/WVZ_1919_07-09_0523.TIF?logicalDiv=jportal_jpvolume_00145884

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
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(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)