Ungarns Ende in Jämmerlichkeit
Die Ungarische Räterepublik unter der Führung Bela Kuns bestand vom 21. März bis 1. August 1919. Als westlicher Vorposten des Bolschewismus sah man sich in vorderster Front im Kampfe für die leninistische Weltrevolution. Doch im Grenzkrieg mit Rumänien und durch das militärische Eingreifen der Entente unterlag diese Räterepublik, die nach leninistischem Vorbild einen "Roten Terror" zur Durchsetzung ihrer Herrschaft angewandt hatte. Das linksliberale Jenaer Volksblatt frohlockt über diese Niederlage der Linksradikalen, aber sieht schwarz für die nähere Zukunft Ungarns.
Volltext:
Das Budapester Trauerspiel ist aus. Der Traum von der Weltrevolution zerbrach an den harten Tatsachen und alle Entlastungsoffensiven, die der Bolschewismus in der Schweiz in Szene setzt und [der USPD-Vorsitzende, Anm.] Herr Haase in Deutschland vorbereitet, ändern nichts an dem Zusammenbruch der Diktatur des Proltariats, an der Tatsache, daß die Außenposten des Leninschen Hirngespinstes verloren sind. Das Ende der Räterepublik Ungarn ist ebenso unrühmlich, zeugte von der gleichen persönlichen Feigheit der Großsprecher des Diktaturgedankens, wie das Ende ähnlicher Bewegungen in München und anderwärts. Bela Kun, aus dem Dunkeln emporgestiegen, Hetzer in den Gefangenenlagern Rußlands, dann - und Karolyi - Verprügelter nach dem Willen der Arbeiterschaft Budapests, darauf großsprechiger Alleinherrscher, fand nicht den Mut, den Zusammenbruch Ungarns mit seiner Person zu decken. Feig flüchtete er nach Wien. Der Mann mit dem Mongolengesicht bettelte bei deutsch-österreichischen Soldatenräten um Schutz für sein schuldvolles Leben. Fand nicht den Mut des Blutmenschen Tibor Szamuely, der Galgen an Galgen in Ungarn aufpflanzte, sadistisch lächelnd und zigarettenrauchend seinen Bluturteilen beiwohnte, aber sich dann, nach dem Zusammenbruch, eine Kugel in den Kopf jagte. Die furchbare Tragikomödie dieses Kasperlespieles, dessen Verrücktheiten einem Staate Lebenskraft und kostbares Blut entzogen, ist aus und endete in Jämmerlichkeit. Ungarn liegt unter dem Druck der Entente. Es hat zwar noch eine Räteregierung, aber diese Räte geben zu: Die Weltrevolution ist gescheitert. Das ungarische Proletariat versagte. Rußlands Hilfe blieb aus. SIe ziehen in ihrem Aufrufe vom Sonnabend das Endergebnis: Unterwerfung, Einführung der Ordnung und der Gerechtigkeit. Bela Kun hate vor seiner jämmerlichen FLucht im Budapester Zentralrat die Arbeiter beschworen, auf den Barrikaden zu kämpfen. Der Feigling, der sich selbst immer im Hintergrunde hielt, fand kein Gehör. Die Budapester Arbeiterschaft war endlich über den Riesenbetrug zur Vernunft gekommen. Aus der Arbeiterschaft selbst kam der Widerstand gegen den Wahnsinn feiger Führer. Sie sah ein, daß die Bolschewistenwirtschaft mit dem Grabe des Arbeiters endet. So stürzte sie selbst das verruchte System. Nicht an der Gegenrevolution starb der Rätegedanke in Ungarn. Das Bürgertum war macht- und waffenlos. Arbeiter selbst schaufelten dem Bolschewismus das Grab.
Nach fünf Monaten liegt Ungarn am Boden. Was der äußere Feind nicht vollbracht, vollbrachte das System des Wahnsinns. Das reiche Land ist ausgebrannt, die Industrie ist tot, das Elend grinst aus allen Ecken. Die neue Regierung hat noch keinen ausgesprochenen Zug. Sie ist ein Notbehelf. Ministerpräsident Peidl ist nicht radikal. Der Minister der Aeußeren Agoston ist Rechtssozialist. Alle übrigen sind Regierende von Gnaden der Arbeiterräte, aber sie werden es nicht lange sein. Denn mit dem Wiederkehren der Ordnung und dem Aufhören der Diktatur, die von knapp zehn Prozent der Budapester ausgeübt wurde, wird das Volk selbst auch wieder über seine Geschicke bestimmen und diese Unabhängigen von den Ruderbänken werfen. Denn ihre Lage ist unhaltbar. Sie sind nur Vollstrecker der Unterwerfung, Mitglieder eines Uebergangsministeriums, und werden fallen, wenn die Uebergabe völlig vollzogen ist. Dann wird auch in Ungarn die Einigung der Arbeiterschaft und der anderen Klassen vollzogen werden, nachdem das Zwischenspiel des Bolschewismus gezeigt, daß eine Klasse allein nicht fähig ist, eines Landes Geschicke zu bestimmen.
Mit dem Zusammenbruch der Räterepublik ist, vom Standpunkt der europäischen Politik aus, die Entente stärker geworden. Der östliche Bolschewismus hat eine furchtbare Niederlage erlitten und Deutsch-Oesterreich selbst wurde von der bolschewistischen Gefahr befreit. Die Wirkungen dieses Ereignisses aber sind zudem auch für die Arbeiterbewegung nicht zu unterschätzen. Hier wurde praktisch der Versuch unternommen, auf europäischem Boden in weitem Maße dem Bolschewismus eine nationalistische Färbung zu geben und ihn zur Landessache zu stempeln. Nach dem Verrat des dunklen Ehrenmannes Michael Karolyi, dieses Ententesöldlings, hatten selbst geistige Kreise Ungarns den Bolschewismus als letztes und fast nationales Rettungsmittel gegen die Entente benutzen wollen. Aber dieses Mittel goß Gift in den Volkskörper. Es vollendete nur den Niedergang und verzehrte selbst den Rest Lebenskraft, der nach der pazifistischen Politik Karolyis dem Lande noch geblieben war. Jetzt flattert wieder das Banner der Vernunft über Ungarn, aber es flattert über einem Trümmerhaufen nach einer Zeit der Greuel, die nutzlos vertan wurde.
Quelle:
Jenaer Volksblatt nr. 181 vom 6.8.1919
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00259104/JVB_19190806_181_167758667_B1_001.tif
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%A9la_Kun#/media/Datei:Béla_Kun,_Jenő_Landler,_Tibor_Szamuely_Memorial,_Memento_Park.JPG