Wir ersticken in Papiergeld!
Finanzminister Erzberger hatte es bereits gesagt: Der Krieg ist der größte Verwüster der Finanzen. Die Zahlen die er dieses Mal der Nationalversammlung präsentiert sind erschütternd. Die Schuldenlast des Reiches ist in den Kriegsjahren explodiert. Während 1913 noch ein ausgeglichenes Verhältnis von Goldbestand und Papiergeldumlauf existierte, ist dieses Verhältnis nun völlig aus dem Ruder gelaufen. Erzberger sieht nur eine Lösung: eine umfassende Steuer- und Finanzreform. Diese wird ihm noch mehr Feinde einbringen, als die Tatsache, dass er es war, der den Waffenstillstand unterzeichnen musste.
Volltext:
Meine Damen und Herren! Das hohe Haus und das deutsche Volk haben das Recht, drei Fragen beantwortet zu erhalten: die Fragen: was ist? was muß werden? und wie muß es werden?
Was ist? Das größte Finanzelend, daß die Welt je sehen konnte oder befürchten mußte. Was muß werden? Baldigste Ordnung unseres gesamten Finanzwesens. Und zwar muß für Reich, Länder und Gemeinden in gleicher Weise das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben mit der größten Beschleunigung wieder hergestellt werden.
Und wie muß es werden? Neue Wege sind zu gehen, Abschied muß genommen werden von manchem alten Liebgewonnenen; ein wohldurchdachtes Steuersystem muß an die Stelle der bisherigen Zufälligkeiten und Unzulänglichkeiten treten. Die Steuerlast muß als einheitliches wirtschaftliches Ganze aufgefaßt werden. Größte Gerechtigkeit auf der einen Seite, Strenge auf der anderen Seite! Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt werden, hat man die Hoffnung und die Möglichkeit, daß Deutschland erhalten bleiben kann und wir von dem schwersten Unglück bewahrt bleiben, in dem Staatsbankerott, der Volksbankerott ist, unabwendbar hineinzufahren.
Was ist?
Einen Überblick über unsere Finanzgestaltung vom Jahre 1913 bis 1918 will ich geben in kurzen Sätzen, nur mit wenigen Zahlen, weil die mehrfach gewünschte Denkschrift trotz aller Beschleunigung der Arbeit im Reichsfinanzministerium erst gestern fertiggestellt werden konnte und dem hohen Hause in den nächsten Tagen zugehen wird.
Die Finanzen vom Jahre 1913 bis 1918 haben sich in den Gesamtausgaben folgendermaßen entwickelt: ordentlicher Etat 1913 2.426.000.000, 1914 1.653.000.000., 1915 1.785.000.000, 1916 2.974.000.000, 1917 6.893.000.000.
(Hört! hört!)
Außerordentlicher Etat in denselben Jahren: 111.000.000, 7.000.000.000, 23.922.000.000, 24.794.000.000, 42.203.000.000. Die Einnahmen nahmen folgenden Entwicklungsgang: 2.217.000.000, 2.350.000.000, 1.735.000.000, 2.029.000.000, 7.830.000.000. Die letzte Ziffer ist durch die einmalige Kriegsabgabe aufgebläht.
Die Betriebsüberschüsse in den Betriebsverwaltungen, die im Jahre 1913 noch 140.000.000 zugunsten des Reichs ergeben, sind im Jahre 1917 zu einem Fehlbetrag von 140.000.000 Mark heruntergegangen, und im laufenden Jahr dürfte unsere Reichspostverwaltung einen Fehlbetrag von nahezu 800.000.000 ergeben.
(Hört! hört!)
[...] Damit habe ich bereits die Zahlen und die Kurve angedeutet, welche die schwebende Schuld, die das größte Kümmernis für jeden darstellt, genommen hat. Im Dezember 1914 betrug die schwebende Schuld 2.871.000.000 Mark, vom gesamten Anleihebedarf rund 40 Prozent. Davon waren im freien Verkehr nur 4 Prozent. Im Dezember 1915 betrug die schwebende Schuld 5.676.000.000, etwas weniger als 20 Prozent des Gesamtbedarfs; im freien Verkehr befindlich waren 8 Prozent. Im Dezember 1916: 12.639.000.000, über 20 Prozent des Gesamtbedarfs, und von diesen 29 Prozent im freien Verkehr. Dezember 1917: 28.323.000.000, rund 30 Prozent des Gesamtbedarfs und hiervon im freien Verkehr 49 Prozent. Dezember 1918: 55.059.000.000, etwas weniger als 40 Prozent des Gesamtbedarfs, im freien Verkehr befindlich 51 Prozent. Juli 1919: 75.904.000.000 Mark, rund 45 Prozent des Gesamtbedarfs, im freien Verkehr befindlich 60 Prozent. [...]
DIe überaus starke Liquidität, die durch die Art der Kriegsfinanzierung sowie durch den Verbrauch und den Ausverkauf von Rohmaterialien, von Halb- und Fertigfabrikaten und sonstigen Waren entstanden ist, kommt besonders deutlich in dem starken Zunehmen des Papiergeldumlaufs zum Ausdruck. Bei einem Vergleich des Ausweises der Reichsbank vom 31. Juli 1913 mit denen vom 31. Juli 1917 ergibt sich folgendes Bild: Am 31. Juli 1913 Gold 1.129.000.000 Mark, Notenumlauf 1.948.000.000 Mark.
(Zurufe von den Deutschen Demokraten: Glückliche Zeiten!)
- Ja, glückliche Zeiten! - Am 31. Juli 1919 ist der Ausweis der Reichsbank folgender: Gold 1.109.000.000 Mark; er schwankt also gar nicht erheblich gegenüber dem Goldbestand des Jahres 1913, wobei allerdings nicht zu vergessen ist, daß wir ungeheure Goldsummen aus dem freien Verkehr und dem Publikum in der Zwischenzeit herausgeholt haben. Notenumlauf: 29.268.000.000 Mark, Darlehenskassenscheine 11.928.000.000 Mark. Der Papiergeldumlauf hat demnach ohne Berücksichtigung des nicht erheblich ins Gewicht fallenden Betrages der Reichskassenscheine um über 39 Milliarden Mark zugenommen.
(Hört! Hört!)
Wir stehen heute auf einem Papiergeldumlauf von etwas über 41 Milliarden Mark.
(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)
[...]
Quelle:
Stenographische Berichte der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 77. Sitzung vom 12. August 1919
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000013_00237.html
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Inflation_1914_bis_1923#/media/Datei:Germany_Hyperinflation.svg