6 - 3 + ?. Personalrochade im Rat der Volksbeauftragten
Entgegen des öffentlichen Bildes schieden die drei USPD-Volksbeauftragten recht versöhnlich aus. Zum Abschied wünschte Haase der übrigen Regierung sogar gutes Gelingen. Diese steht jedoch vor einem Personalproblem. Woher soll man Ersatz nehmen? Wann soll darüber entschieden werden? Und soll es einen neuen, diesmal regionalen Proporz geben? Die Volksbeauftragten und der mit ihnen tagende Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik ist sich uneins. Scheidemann mahnt: Ein neuer Mann müsse halb "Bluthund", halb "Rhinozeros" sein. Die Versammlung kommt schnell auf einen Namen: Gustav Noske.
Volltext:
28./29.12.1918 nachts: Gemeinsame Sitzung von Kabinett und Zentralrat
V.[olks]B.[eauftragte] Ebert eröffnet die Sitzung.
V.B. Haase: Ich nehme an, daß auch unsere Kollegen aus dem Rat der Volksbeauftragten unterrichtet sind von der Antwort, die der Zentralrat auf die gestellten Fragen gegeben hat, so daß diese Antwort wohl nicht verlesen zu werden braucht. Nachdem das festgestellt worden ist, bitte ich meinem Kollegen Dittmann das Wort zu erteilen, der unsere Antwort darauf Ihnen mitteilen wird.
V.B. Dittmann verliest die Antwort.
V.B. Haase: Meine Herren! Wir haben damit unseren Willen klar zum Ausdruck gebracht und möchten nur dem aufrichtigen Wunsch Ausdruck geben, daß nach unserem Ausscheiden die Regierung in der Lage sein wird, die Regierungsgeschäfte wirksam zu führen, und eine kraftvolle, nach außen und innen völlig geachtete und gesicherte Regierung darzustellen.
(Die Volksbeauftragten Haase, Dittmann und Barth verlassen die Sitzung.)
V.B. Ebert: Wir müssen noch über die Situation reden, die durch den Austritt der V.B. Haase, Dittmann und Barth entstanden ist. Sollen wir drei die Geschäfte weiter führen oder soll die Regierung durch Zuwahl ergänzt werden? Wollen wir unsere Beratungen jetzt abbrechen und morgen weiter beraten, nachdem jeder einzelne sich selbst die Sache ruhig überlegt hat? Morgen werden wir kaum ruhig miteinander beraten können. Eile ist geboten. Deshalb wollen wir heute noch über die Ergänzung der Regierung entscheiden.
[Albert] Grzesinski [MSPD]: Ob die Regierung aus drei oder sechs Personen besteht, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Wie denken die Volksbeauftragten selbst darüber?
V.B. Ebert: Bei dem großen Umfang unserer Geschäfte ist es erwünscht, mindestens zwei Kollegen hinzuzuwählen; die Zahl fünf ist vielleicht besser als sechs. Da die Wahl der Personen reiflich überlegt sein muß, können wir vielleicht eine kurze Vertagung eintreten lassen.
[Hermann] Kahmann [MSPD]: Wir müssen gleich mit dem Rücktritt der drei Unabhängigen die Ernennung der neuen Volksbeauftragten mitteilen können.
V.B. Landsberg: Ich wollte nur V.B. Ebert unterstützen. Für den wird die Arbeit wohl etwas zu viel. Jeder von uns hat ein tüchtiges, voll gerütteltes Dezernat. Fünf ist wohl besser als sechs.
[Robert] Leinert [MSPD]: Wir müssen doch über die Personen, die in Aussicht genommen werden, etwas reden, damit man morgen mit ihnen sprechen kann. Vertagen wir die Frage auf morgen, so können wir mehrere Tage die Regierung nicht vervollständigen.
(Noske wird vorgeschlagen von mehreren Seiten.)
Pfaff warnt davor, Noske aus Kiel fortzunehmen. Er hat einen großen Einfluß, auch bei der U.S.P. und außerdem bei der Bürgerschaft. Er ist in Kiel der reinste Herrgott.
V.B. Ebert stimmt dem zu. Wir brauchen einen Kollegen für Sozialpolitik und einen für das Pressewesen, so daß Scheidemann das Auswärtige übernehmen könnte.
V.B. Landsberg: Das hat bis morgen Zeit.
Kahmann empfiehlt die Wahl eines Genossen aus Süddeutschland. Die Abneigung gegen Berlin kann vielleicht durch Vorkommnisse in den nächsten Tagen noch gestärkt werden.
V.B. Scheidemann: Man darf das nicht aus dem Handgelenk machen. Es wird nicht jeder in den Hexenkessel hineingehen. Morgen ist er auch ein Bluthund. Er muß ein Fell wie ein Rhinozeros haben.
V.B. Ebert: Es fragt sich, ob wir morgen früh zu einer Sitzung zusammentreten.
V.B. Scheidemann: Morgen Nachmittag?
V.B. Ebert: Morgen Nachmittag ist bedenklich, eher morgen früh.
[Gustav] Heller [MSPD]: Nachdem die U.S.P. ausgeschieden ist, wird morgen schon etwas von der Spartakusgruppe unternommen werden. Haben die Volksbeauftragten schon irgendwelche Maßnahmen getroffen?
V.B. Scheidemann: Morgen ist das ganze Volk auf den Straßen, unsere Leute auch; für morgen habe ich keine Sorge. Es wäre gut, wenn wir morgen Nachmittag auf den Straßen das schon bekanntgeben könnten.
Leinert: Wir müßten morgen schon um 1/2 10 Uhr zusammenkommen und uns schlüssig werden und dann die Flugblätter drucken lassen, damit sie schon morgen unter die Bevölkerung kommen.
Pfaff: Auch die Spartakus und U.S.P werden Flugblätter verbreiten. Deshalb müssen auch wir ein Flugblatt vorbereiten, in dem erstens einmal die Gründe für die Beschlüsse des Zentralrats dargelegt werden, und zweitens gesagt wird, wer die Regierung bildet. Deshalb lieber um 9 Uhr als um 10 Uhr.
V.B. Ebert: Damit sind Sie einverstanden. Also um 9 Uhr hier. Das Flugblatt wird vorbereitet.
Schluß der Sitzung.
Quelle:
Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, Zweiter Teil, bearb. Susanne Miller und Heinrich Potthoff, Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 6/II, Düsseldorf 1969, S. 141 - 143.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Noske#/media/File:NoskeGustav.jpg