Dietrich Eckart über Habgier, Politik und echte Männer
Die Politik wurde auch schon vor 100 Jahren als schmutziges Geschäft empfunden. Schon damals sehnte man sich nach noch früheren, vermeintlich moralischeren, gesitteteren und vor allem parteilosen Zeiten zurück. Doch Dietrich Eckart gibt eine neue Empfehlung: einfach keine Politik machen, sich aus allem heraushalten. Nur so kann das deutsche Volk noch gerettet werden. Diese Rückzugsgeste wird im völkischen Milieu - dessen Vordenker Eckart in München war - jedoch schon wenige Woche später aufgegeben. Die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) wird gegründet. Ihre Propaganda, wie auch jene von Eckarts Zeitung, wird von demselben rabiaten, vulgären Antisemitismus geprägt sein, welcher die (NS)DAP auch in späteren Jahren zeichnen wird.
Volltext:
Männer!
Weniger die Politik verdirbt den Charakter, als der Charakter die Politik. Sie ist in der ganzen Welt eine unreinliche Sache geworden, weil die berufenen und unberufenen Führer der Völker bewusst oder unbewusst schon seit langem nur nach einem streben, nach persönlicher Macht. Dieser Drang zur Befriedigung eitelster Selbstsucht entspringt innerer Schwäche. Wer seelische Kraft in sich fühlt und daher weiß, auf was es ankommt, der weiß auch, daß bloße Macht ein leeres Prunkstück ist, welches wohl eine Zeitlang über die Hohlheit hinwegzutäuschen vermag, aber eines schönes Tages als wertlos verworfen wird.
Machtkitzel führt u. a. zur Parteibildung. Schwächlinge finden sich zusammen, um sich gegenseitig in die Höhe zu bringen und dort zu halten. Aus einem solchen Nazareth kann nichts Gutes kommen, wenigstens nichts von hinreißender Wirkung. Bismarck stand immer allein, an keine Partei gefesselt. Ungeheurer Machtwille loderte in ihm, aber auch ungeheurer Wille zum inneren Wert. Daß sich beide das Gleichgewicht hielten, schuf seine Größe. Nicht Geschäft war seine Politik, sondern Zukunft. Nicht Schein, sondern Sein. Schöpfung, nicht Vernichtung. Er selbst ein wesentlicher Mensch, eine Persönlichkeit.
Wesentlich nenne ich den, der im Wesentlichen, d. h. im Seelischen so verankert ist, daß er sich nie ganz an die irdischen Dinge verlieren kann, daß er also auch nicht der Machtgier zum Opfer fällt. Zum nächsten dem Seelischen steht der fromme, der ganz und gar verinnerlichte Mensch; aber so lange er das ist, schafft er nicht die politische Tat, kann sie nicht schaffen. Seine Losung heißt Selbstbeschau. Erst wenn er aus sich heraustritt, vermag er etwas für das Gemeinwohl zu leisten, und zwar so Wertvolleres, je größer nicht nur die Leidenschaft ist, die ihn erfasst, sondern auch je rechtzeitiger sie immer wieder von der entsprechenden seelischen Kraft gezügelt wird. Er muss ebenso wuchtig befehlen wie hingebend gehorchen, d. h. auf seine innere Stimme horchen können; denn diese allein gibt seinem Handeln die Richtschnur, diese allein lässt ihn auf den Grund der Herzen sehen - die einzige Möglichkeit, der tieferen Zusammenhänge des menschlichen Treibens gewahr zu werden und sich ihrer nutzbringend zu bedienen. Der Tatmensch, dem es an Seele gebricht, ist je nach dem Grad seiner Leidenschaft entweder ein Schwätzer oder ein gefährlicher Narr, wie erfolgreich er auch den übrigen Schwätzern und Narren erscheinen mag; immer aber ein Lügner, weil er den Totenwurm in seinem Werk empfindet, trotzdem aber sich triumphierend gebärdet. Hinter ihm steckt das schlechte Gewissen. Er ist der geborene Pfuscher und Verderber, verletzt der betrogene Betrüger.
Der verinnerlichte Mensch sträubt sich - auch Bismarck tat es zeit seines Lebens - gegen politische Betätigung, gerade als ahnte er, daß zuvorderst in ihr mit die größte Gefahr, nicht etwa für seine Behaglichkeit, sondern für seine seelische Entwicklung lauert. Denn von seinem besseren Wesen ab führt sie ihn auf jeden Fall; weshalb ein ganzes Volk zur Politik erziehen wollen, der Versuch wäre, es zu verflachen. Völker, die auf Politik versessen sind, haben als geistige Führer der Menschheit ihr Teil dahin, und eines Tages nimmt auch ihr äußerer Glanz ein klägliches Ende. Wer es gut meint mit dem deutschen Volk, der bekämpft die ihm gottlob unnatürliche Neigung zur Politik. In dem Augenblick, da es ihr leidenschaftlich zu frönen begann, hatte es den Rest seines Opfermutes verloren. Als das wesentlichste unter allen Völkern konnte es das plötzliche Fieber am wenigsten ertragen; und nun windet es sich in chaotischen Krämpfen, bis es wieder den inneren Frieden, bis es wieder die alte Würde findet.
Diesen Genesungsprozess zu beschleunigen drängt es wohl jeden Deutschen, der seine fünf Sinne noch halbwegs beisammen hat; mich selbst trieb es aus der Stille des Dichters hinein in den Wirrwarr, ungeachtet meines Wissens und die augenblickliche Übermacht des Stromes. Ob ich Leidenschaft genug dafür aufbringen werde, weiß ich nicht, ich hoffe es aber; jedenfalls glaube ich, die nötige Innenkraft mitzubringen. So mag es denn gehen wie´s will. Im Strudel der Gemeinheit werde ich nicht versinken.
Zur Seite habe ich niemand, auch nicht einen. Wer meinem Streben helfen will, sei willkommen; aber binden kann ich mich nicht an ihn, weder an einen Einzelnen, noch gar an eine Partei. Nur Echo für meine Stimme brauche ich, ich brauche Leser. Sonst ist jedes weitere Opfer zwecklos, der Anfang das Ende.
Das vorliegende Heft dient bloß zur Probe. Der eigentliche Beginn soll Mitte Dezember einsetzen.
Wer hier mitarbeitet, hat mit offenem Visier seine Worte zu vertreten. Decknamen muss ich ablehnen, ausnahmslos. Nur so bleibt die Würde gewahrt, nur so der redliche Sinn.
Quelle:
Dietrich Eckart: Männer!, in: Auf gut deutsch, Nr. 1 Probeheft, S.1-3
In: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9448535