Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Institutionalisierung der Tarifpartnerschaft

Bereits im Weltkrieg hatte sich diese Entwicklung abgezeichnet, aber vor allem unter dem verstärkten Druck von Sozialisierungforderungen, waren die Arbeitgeber bereit die Gewerkschaften als gleichwertige Tarifpartner zu akzeptieren. Hiermit wollten beide Seiten Verstaatlichungsmaßnahmen zuvor kommen. Die Unternehmer fürchteten um ihr Eigentum, während die Gewerkschaften um ihre Selbstständigkeit bangten, die in staatlich gelenkten Wirtschaftszweigen so nicht mehr bestanden hätte. Das institutionelle Ergebnis war die Arbeitsgemeinschaft der Tarifpartner, die bis Ende der 1920 halten sollte, als sie im sog. Ruhreisenstreit zerbrach.

Volltext:

Satzung der Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands

Durchdrungen von der Erkenntnis und von der Verantwortung, daß die Wiederaufrichtung unserer Volkswirtschaft die Zusammenfassung aller wirtschaftlichen und geistigen Kräfte und allseitiges einträchtiges Zusammenarbeiten verlangt, schließen sich die Organisationen der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen.

§ 1

Die Arbeitsgemeinschaft bezweckt die gemeinsame Lösung aller die Industrie und das Gewerbe Deutschlands berührenden wirtschaftlichen und sozialen Fragen sowie aller sie betreffenden Gesetzgebungs- und Verwaltungsangelegenheiten.

§ 2

Die Organe der Arbeitsgemeinschaft sind:

1. der Zentralvorstand und der Zentralausschuß,

2. die Fachgruppen mit Gruppenvorstand und Gruppenausschuß,

3. die Untergruppen mit Untergruppenvorstand und Untergruppenausschuß.

§ 3

Sämtliche Organe werden paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebildet, die beiderseits in getrennter Abstimmung gewählt werden. Die Vorsitzenden sind aus der Reihe der Mitglieder der Organe zu wählen. Der Vorsitz bleibt der Einigung innerhalb jedes Organs vorbehalten.

§ 4

Für jeden selbstständigen Industrie- und Gewerbezweig kann eine Fachgruppe gebildet werden.

Die Fachgruppe ist die zentrale Arbeitsgemeinschaft der organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Industrie- und Gewerbezweiges. Ihre Aufgabe besteht in der selbstständigen Regelung der ihren Industrie- oder Gewerbezweig betreffenden Fachfragen, und zwar unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Zentralvorstandes und des Zentralausschusses.

In Angelegenheiten, die über das Gebiet der in der Fachgruppe vereinigten Industrie bzw. des Gewerbes hinausgehen, haben die Fachgruppen das Recht, Anträge an den Zentralausschuß und an den Zentralvorstand zu richten.

Die Fachgruppen bestimmen selbstständig die Größe und Zusammensetzung ihres Vorstandes und Ausschusses sowie den Geschäftsgang.

Dagegen entscheiden Satzung und Beschlüsse des Zentralausschusses bzw. Zentralvorstandes über die Stärke der Vertretung der Fachgruppen im Zentralausschuß.

Der Gruppenausschuß ist die Vertretung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Industrie- oder Gewerbezweiges.

Der aus dem Gruppenausschup zu wählende Gruppenvorstand führt die Beschlüsse des Gruppenausschusses aus.

Der Gruppenvorstand ist zur Auslegung von Kollektivvereinbarungen und zur Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten berufen, soweit dies in den Kollektivvereinbarungen vorgesehen ist.

Fachgruppen können sich zu Gruppenarbeitsgemeinschaften zusammenschließen.

§ 5 [betr. örtliche Untergruppen innerhalb der Fachgruppen, Anm.]

[...]

§ 6

Die Organe der Fachgruppen und Untergruppen werden durch die beiderseitigen Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewählt, wobei für eine Vertretung der Minderheit Sorge zu tragen ist.

§ 7

Der Zentralausschuß ist die Arbeitsgemeinschaft der organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer der gesamten Industrie und des gesamten Gewerbes Deutschlands.

Seine Aufgabe besteht in der Beratung und Regelung aller derjenigen Fragen, die sämtlichen Fachgruppen, also der gesamten Industrie und dem gesamten Gewerbe Deutschlands gemeinsam sind, sowie derjenigen Fragen, die über den Bereich einer einzelnen Fachgruppen hinausgehen.

Der Zentralausschuß kann den Zentralvorstand (§ 8) oder von ihm einzusetzenden Ausschüssen einen Teil seiner Aufgaben durch Beschluß übertragen.

Der Zentralausschuß wird aus Abgeordneten gebildet, die von den Fachgruppen aus der Zahl ihrer Mitglieder zunächst für drei Jahre gewählt werden. Ferner treten dem Zentralausschuß bei je sechs (6) Vertreter, die von den Zentralstellen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände abgeordnet werden.

Für je 100.000 beschäftigte Arbeiter und Angestellte eines Industriezweiges wird in der Fachgruppe je ein (1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewählt. Angefangene weitere 100.000 werden dann, wenn die Zahl 50.000 und mehr beträgt, für voll gerechnet. Unter 50.000 werden nicht mitgezählt. Für die erstmalige Zusammensetzung gelten die Zahlen der in den einzelnen Industriezweigen im Jahre 1913 beschäftigten Arbeitnehmer.

Fachgruppen, die weniger als 100.000 beschäftigte Arbeiter und Angestellte umfassen, können zwecks Wahl von Zentralausschußmitgliedern zu einem Wahlkörper vereinigt werden.

§ 8

Der Zentralvorstand besteht aus je zwölf (12) Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die von dem Zentralausschuß aus seiner Mitte mit einfacher Stimmenmehrheit zunächst für drei Jahre gewählt werden. Wahl durch Zuruf ist zulässig. Je drei (3) dieser Vertreter müssen den Zentralstellen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände angehören. Für jeden Vertreter ist ein Stellvertreter zu wählen.

Der Zentralvorstand vertritt die Arbeitsgemeinschaft nach außen. Er führt die Beschlüsse des Zentralausschusses aus und ist zur Auslegung von Kollektivverträgen und zur Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten berufen, soweit dies in den Kollektivvereinbarungen vorgesehen ist. Er entscheidet über die Aufnahme weiterer Organisationen. Er verwaltet die Mittel der Arbeitsgemeinschaft und stellt ihre Beamten an.

Der Zentralvorstand gibt sich seine Geschäftsordnung selbst.

§ 9

Die Kosten, welche der Zentralausschuß und der Zentralvorstand verursachen, werden von den Fachgruppen alljährlich aufgebracht, und zwar umgelegt nach der Zahl ihrer Vertreter im Zentralausschuß.

Für die Richtigkeit:

gez. Ernst von Borsig [Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Anm.]          

gez. [Carl] Legien [Vorsitzender der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Anm.]

Quelle:

Die Gewerkschaften in Weltkrieg und Revolution 1914-1919, bearb. von Klaus Schönhoven, Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert, Köln 1985, S. 602 - 605.

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
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(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)