Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

DE | EN

Rosa Luxemburg: Raus aus der Regierung, hinein in die Revolution!

Obwohl der Spartakusbund theoretisch noch ein Teil der USPD ist, schießt er schon seit langem gegen die eigene Partei. Nun nach den Ereignissen des 6. Dezembers erfolgt das letzte Ultimatum: Austritt der USPD aus der Regierung und Fortsetzung der Revolution, wobei insbesondere die Wahl zur Nationalversammlung verhindert werden müsse, so Rosa Luxemburg auf einer USPD-Versammlung in Berlin. Die Machtfrage könne lediglich dann zugunsten des Proletatriats entschieden werden, wenn dieses mit "ganzer Brutalität" gegen die herrschende Klasse vorgehe. Was im Spartakusbund usus ist, erntet von den USPD-Delegierten jedoch "großes Gelächter". Dass Spartakus über keine ausreichenden Machtmittel verfügt, um ihre weit gesteckten Ziele zu verwirklichen, ist der Mehrheit offenbar klar.

Volltext:

Außerordentliche Verbandsgeneralversammlung der USPD von Groß-Berlin

Rede Rosa Luxemburgs:

Genosse Haase hat soeben eine Anklagerede gegen die Politik gehalten, die er selbst gemacht hat, und eine Verteidigungsrede für die Politik der Ebert-Scheidemann. Er hat gesagt, dass Liebknecht bereit gewesen sei, in die Regierung einzutreten, aber er hat vergessen, die Bedingung zu nennen, die Liebknecht aufgestellt hatte. Diese Bedingung war, dass die neue Regierung prinzipielle sozialistische Politik mache. Unter dieser Bedingung sind wir noch heute bereit, in die Regierung einzutreten. Was die Vorgänge bei Schwartzkopff betrifft, so wird Ihnen ein Genosse berichten, dass jene Einigkeitsstimmung im Grunde eine Schiebung ist.

Fünf Wochen sind seit dem 9. November ins Land gegangen. Seitdem hat sich das Bild völlig geändert. Die Reaktion ist jetzt viel stärker als am ersten Tage. Und Haase sagt uns: Seht, wie herrlich weit wir es gebracht haben. Seine Pflicht wäre es gewesen, uns den Fortschritt der Gegenrevolution zu zeigen, die von der Regierung begünstigt worden ist, in der Haase sitzt. Diese Regierung hat, statt die Konterrevolution zu verhüten, die Bourgeoisie und die Reaktion gestärkt. Eine für sie günstigere Regierung kann sich die Bourgeoisie wirklich nicht wünschen, sie ist das Feigenblatt für ihre konterrevolutionären Ziele.

Nicht einmal die elementarsten Maßnahmen hat die gegenwärtige Regierung getroffen. Hat sie die Kriegsanleihe annulliert? Hat sie das Volk zur Verteidigung der Revolution bewaffnet? Sie hat die Rote Garde verboten und dafür die Weiße Garde von Wels anerkannt. Bei dem Putsch vom 6. Dezember liefen alle konterrevolutionären Fäden in den Händen der Ebert und Wels zusammen. Alle Offiziere und Generale, Lequis und Hindenburg stellen sich auf den Boden der Regierung, und Haase sagt uns, dass es eine sozialistische Regierung sei. Gerade diese Methoden der Regierung verwirren das Proletariat. Nach dem 6. Dezember mussten die Unabhängigen aus der Regierung austreten, sie mussten die Verantwortung für das Geschehene ablehnen, um die Massen aufzurütteln und ihnen zu sagen, die Revolution ist in Gefahr. Dadurch, dass es nicht geschah, werden die Massen eingeschläfert, und die Fortsetzung dieser Einschläferungspolitik war die heutige Rede Haases.

Haase hat die Großtaten der neuen Regierung aufgezählt – lauter bürgerliche Reformen, die uns beweisen, wie rückständig Deutschland war; das sind die veralteten Schulden der Bourgeoisie, keine revolutionären Eroberungen des Proletariats, worum es sich doch gehandelt hätte.

Haase hat ferner gesagt, wir dürfen die Taktik der Russen nicht sklavisch nachzeichnen, da Deutschland wirtschaftlich fortgeschrittener ist. Wir müssen aber von ihnen lernen. Die Bolschewisten mussten erst Erfahrungen sammeln. Wir können uns die reife Frucht dieser Erfahrungen aneignen.

Der Sozialismus ist keine Frage der parlamentarischen Wahl, sondern eine Machtfrage. Brust an Brust und Auge in Auge müssen die Proletarier mit der Bourgeoisie im Klassenkampf kämpfen. Dazu muss das Proletariat ausgerüstet werden. Auf Diskussionen, auf Mehrheitsbeschlüsse kommt es nicht mehr an. Haase ist für die Hinausschiebung der Nationalversammlung eingetreten, aber gleichwohl sieht er die Nationalversammlung als eine Arena des politischen Kampfes an. Die Parteileitung der Unabhängigen hatte den April als den Termin der Nationalversammlung festgesetzt. Die Vertreter der Unabhängigen in der Regierung sind umgefallen, indem sie sie auf den 16. Februar anberaumten.

Haase hat das Prinzip der Demokratie gerühmt. Nun, wenn das Prinzip der Demokratie gelten soll, so doch vor allem in unserer Partei selbst. Dann aber muss sofort der Parteitag einberufen werden, damit die Massen sagen können, ob sie diese Regierung noch wollen.

Wenn die USP jetzt in Berlin bei den Wahlen eine Niederlage erlitten hat, so ist die wahre Ursache die Politik Haases in der Regierung. (Stürmische Unterbrechung) Wie verkehrt ist es, die Spartakusgruppe zu beschuldigen, da gerade wir an dem sozialistischen Gewissen der Massen gerüttelt haben! Vier Jahre hindurch haben Haase und seine Freunde die Sozialpatrioten bekämpft, um zuletzt mit den Schuldigen Frieden zu machen. Und darum sind sie die wahren Schuldigen.

Haase hat uns den Vorwurf machen wollen, dass wir uns der Meinung der Massen unterordnen, weil wir die Regierung nicht anders als mit Zustimmung der Massen übernehmen werden. Wir ordnen uns nicht unter, wir warten auch nicht ab. Sondern wir wollen Eure Halbheiten, Eure Schwächen denunzieren. Wenn Haase und seine Freunde aus der Regierung austreten, so werden sie dadurch die Massen aufrütteln und aufklären. Wenn sie aber fortfahren, die Regierung zu decken, so werden die Massen sich erheben und Euch fortfegen. Jetzt in der Revolution können keine Reden, keine Broschüren die notwendige Aufklärungsarbeit leisten. Jetzt kommt es auf eine Aufklärung durch Taten an.

Ja, die Zustände in der USP sind unhaltbar, da hier Elemente vereinigt sind, die nicht zusammengehören. Entweder ist man entschlossen, gemeinsame Sache mit den Sozialpatrioten zu machen, oder man muss mit dem Spartakusbund gehen. Darüber sollte der Parteitag entscheiden. Aber indem wir den Parteitag fordern, finden wir jetzt bei Haase ebenso verstopfte Ohren, wie wir sie mit der gleichen Forderung während des Krieges bei Scheidemann fanden.

Ich lege der Verbandsversammlung folgende Resolution vor: Die außerordentliche Verbandsversammlung der USP von Groß-Berlin am 15.12.1918 fordert:

  1. den sofortigen Austritt der Vertreter der USP aus der Regierung Ebert-Scheidemann;
  2. die Verbandsversammlung lehnt die Einberufung der Nationalversammlung ab, die nur dazu führen kann, die Gegenrevolution zu stärken und die Revolution um ihre sozialistischen Ziele zu betrügen;
  3. die sofortige Übernahme der ganzen politischen Macht durch die A.- und S.-Räte, Entwaffnung der Gegenrevolution, Bewaffnung der Arbeiterbevölkerung, Bildung der Roten Garde zum Schutze der Revolution, Auflösung des Ebert-Rates der Volksbeauftragten, Ausstattung des Vollzugsrates der A.- und S.-Räte mit der höchsten Staatsgewalt;
  4. die Verbandsgeneralversammlung fordert die sofortige Einberufung des Parteitages der USPD.

Wir stehen jetzt vor einem Augenblick von weltgeschichtlicher Bedeutung, kurz vor der Verhandlung des Zentralrats. Beinahe ist die Revolution schon an den Rand des Abgrundes gebracht, mit eiserner Hand muss das Proletariat sie zurückreißen. Die Regierung hat alles getan, um im voraus dem Zentralrat der A.- und S.-Räte die Macht zu entwinden, sie hat die Zivilbevölkerung und das Proletariat entwaffnet, sie hat Maßnahmen getroffen, die gegen die Revolution sind und die Massen verwirren. Dagegen gilt es mit Unerbittlichkeit zu kämpfen. (Lebhafter Beifall)

 

Schlussrede Rosa Luxemburgs:

(Nach einem Zeitungsbericht)

Unsere erste Pflicht ist es, jede Brücke zu der gegenwärtigen Regierung abzubrechen. Das ist unsere Forderung, und damit sind wir im Recht. Da hat sich nun vorhin der Genosse Barth hingestellt und seine revolutionären Heldentaten aufgezählt. Wenn der Genosse Barth wirklich ein so großer Revolutionär ist, dann hat er sich in den letzten fünf Wochen sehr schnell abgewirtschaftet. Jetzt nimmt der Genosse Barth an allen konterrevolutionären Aktionen der Regierung Ebert teil. Warum ist er in diese Regierung eingetreten? Warum ist er nicht in den Reihen des Proletariats geblieben, dort, wo der Platz eines wahren Revolutionärs ist? Nein, Genossen, einzelne Personen machen die Revolution nicht; wenn die Revolution nicht von den Massen selbst ausgeht, so ist sie keinen Schuss Pulver wert. Ströbel hat ausgeführt, dass die Vertreter der USP zur revolutionären Mitarbeit sich an der Regierung beteiligen müssen. Nein, Genossen, nicht darauf kommt es für uns Sozialisten an, zu regieren, sondern den Kapitalismus zu stürzen. Noch ist er nicht erschüttert, noch besteht er; da gilt es nicht, zu zeigen, dass wir eine regierungsfähige Partei sein können, und dass wir jetzt, in dieser Regierung, als Sozialisten nicht regieren können, das ist bereits bewiesen. Man hat uns gesagt, dass wir lange warten müssten, bis die Mehrheit des Proletariats sich zu unseren revolutionären Anschauungen durchgerungen habe. Diejenigen, die dieses Argument geltend machen, verkennen ganz und gar das lebendige und energische Tempo der revolutionären Entwicklung. Nicht wir sind es, die zur Herrschaft kommen wollen, sondern wir wollen, dass die Mehrheit des Proletariats die politische Macht in Händen hat. Alle diejenigen, die den Popanz der Nationalversammlung aufgerichtet haben, haben verwirrend auf die Massen gewirkt und die revolutionäre Entwicklung auf Monate und Jahre zurückgeschraubt. Hilferding hat das demokratische Prinzip betont. Aber diese formale Gleichheit der Demokratie ist Lug und Trug, solange noch die ökonomische Macht des Kapitals besteht. Man kann nicht mit der Bourgeoisie und den Junkern darüber debattieren, ob man den Sozialismus einführen solle. Sozialismus heißt nicht, sich in ein Parlament zusammensetzen und Gesetze beschließen, Sozialismus bedeutet für uns Niederwerfung der herrschenden Klassen mit der ganzen Brutalität (Großes Gelächter), die das Proletariat in seinem Kampfe zu entwickeln vermag. Die Nationalversammlung soll dazu dienen, den Abgrund zwischen Kapital und Arbeit zu überbrücken. Ihr steht jetzt vor der Entscheidung, welchen Weg Ihr gehen wollt, entweder mit uns oder mit Scheidemann. Es gibt jetzt kein Ausweichen mehr, nur ein Entweder–Oder.

Gedenktafel am Elternhaus von Rosa Luxemburg, 2018 entfernt

Quelle:

Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 455–459.

In: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1918/12/uspdgb.htm

 

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Luxemburg#/media/File:Gedenktafel,_Geburtshaus,_Rosa_Luxemburg.jpg

Glossar anzeigen
Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
[BüttnerBüttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008.
[DNV]Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, hrsg. v. Ed.[uard] Heilfron, Bd. 1 bis 6, Berlin [1919].
[Ebert/Wienecke-JanzEbert, Johannes/Wienecke-Janz, Detlef, Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, Gütersloh/München 2006.
[EK]Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 1993.
[EtzoldEtzold, Hans-Rüdiger, Der Käfer II. Die Käfer-Entwicklung von 1934 bis 1982 vom Urmodell zum Weltmeister, Stuttgart 1989.
[GG]Gitta Günther: Weimar-Chronik. Stadtgeschichte in Daten. Dritte Folge: März 1850 bis April 1945 (Weimarer Schriften, Heft 33), Weimar 1987.
[GrüttnerGrüttner, Michael, Das Dritte Reich 1933-1945 (= Bd. 19, Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2014.
[HildebrandHildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 7. Aufl., München 2010.
[Kessler Tgbb]Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996.
[KittelKittel, Erich, Novembersturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 104 (1968), S. 42-108.
[KolbKolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 7. durchges. und erw. Aufl., München 2010.
[NiedhartNiedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, 2. aktualisierte Aufl., München 2010.
[O/S]Manfred Overesch/ Friedrich Wilhelm Saal: Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Düsseldorf 1992.
[Overesch/SaalOveresch, Manfred/Saal, Friedrich Wilhelm, Die Weimarer Republik, Eine Tageschronik der Politik, Wissenschaft Kultur, Augsburg 1992.
[PeukertPeukert, Detlef, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
[PK]Paul Kaiser: Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar (Weimarer Schriften, Heft 16), Weimar 1969.
[PM]Paul Messner: Das Deutsche Nationaltheater Weimar. Ein Abriß seiner Geschichte. Von den Anfängen bis Februar 1945 (Weimarer Schriften, Heft 17), Weimar 1985.
[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
[TofahrnTofahrn, Klaus W., Chronologie des Dritten Reiches. Ereignisse, Personen, Begriffe, Darmstadt 2003.
[UB]Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistungen und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
[VU]Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009.
[WinklerWinkler, Heinrich-August, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der Ersten deutschen Demokratie, München 1993.
[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)