Weihnachten 1918
Das erste Weihnachtsfest nach Kriegsende wurde schweren Herzens begangen. Trotz der armseligen Lebensverhältnisse und der anhaltenden Gewalt wünscht das Jenaer Volksblatt Allen ein besinnliches Fest. Die Kinder mit ihrer ehrlichen Freude über das Fest des Friedens seien ein Vorbild für alle Erwachsenen.
Volltext:
Weihnachten 1918.
von Wilhelm Tümmler, Jena
Nicht im strahlenden Lichterglanz, nicht behängt mit Kostbarkeiten vieler Art, steht er da, der deutsche Weihnachtsbaum. Nur ein paar einzelne Kerzenstümpfchen, übriggeblieben aus besseren Zeiten, werfen ihr Lichtlein durch das dunkle Tannengezweig. Die Lichtlein flackern. Schatten huschen über die ernsten Gesichter von Vater und Mutter. Der heimgekehrte Sohn ringt noch mit schweren Erinnerungen, und leise will der Weihnachtsengel in seinem Herzen Einzug halten. Stille Nacht, heilige Nacht! Nur in den Augen der jüngeren Geschwister leuchtet hell und warm die kindliche Weihnachtsfreude. Wollte auch in unseren Herzen das Lichtlein der Freude, der Weihnachtsfreude wieder entfachen. Schwer haftet die Faust des Feindes auf dem gequälten deutschen Volk, und auch im eigenen Lande macht immer noch Unfriede, Feindschaft und Hass gegen die eigenen Volksgenossen sich breit.
Lasst uns tief in die milden und gütigen Augen des Weihnachtsengels hineinschauen, damit wir Weihnachten, das Fest der Liebe, wieder verstehen und feiern lernen.
Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 25.12.1918
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00180369/JV_1918_1718.TIF?logicalDiv=jportal_jpvolume_00162999