Belagerungszustand in München verhängt
Einen Tag nach der Ermordung des bayrischen Ministerpräsidenten Kurt Eisners und dem darauffolgenden Schüssen im Landtag, verhängte Ernst Niekisch von der MSPD den Belagerungszustand über München, bildete den Zentralrat der bayrischen Republik und rief den Generalstreik aus. Jedoch erfolgte - anders als in der Vossischen dargestellt - nicht die Ausrufung der Räterepublik. Das sollte noch bis April dauern, trotzdem: die Zustände in München und Bayern waren dramatisch und werden sich über die kommenden Wochen noch um einiges weiter zuspitzen.
Volltext:
Aufruhr der Kommunisten in München.
München, 21. Februar, 9 Uhr 30 Min. abends. (Drahtmeldung der „Vossischen Zeitung“.) Heute abend wurde in München vom revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat Bayern zur Räterepublik ausgerufen. Sämtliche Münchner Zeitungen sind durch Rätetruppen besetzt und am weiteren Erscheinen verhindert. Flugblätter der Unabhängigen fordern zum Generalstreik auf.
Die Entwicklung in München lässt darauf schließen, dass die Ermordung Eisners - die tat eines, wie uns von zuverlässiger Seite berichtet wird, geistig Minderwertigen - nur den letzten Anstoß gebildet hat, um einen von langer Hand vorbereiteten Plan durchzuführen: die Beseitigung des Landtages und die Proklamierung der Diktatur der Kommunisten. Nach fehlen nähere Nachrichten über die weiteren Vorgänge des gestrigen Tages, doch scheint es, als habe sich die große Mehrheit der Münchner Bevölkerung die nach der Ausschaltung Auers und Roßhaupters der zielbewussten Führung entbehrte, ohne Widerstand dem bewaffneten Machtaufgebot der Minderheit gefügt. Die eigentlich treibenden Kräfte scheinen jetzt die Elemente der äußersten Linken zu sein, die Eisner aus Schwäche und Idealismus duldete, ohne ihre auf Gewalttaten abzielende Propaganda zu billigen. Solange Eisner lebte, durfte er hoffen, immer wieder das Schlimmste zu verhüten, da sein persönlicher Einfluss auch auf die Radikalen nicht gering war. Sein Tad hat die Bahn freigemacht für Leute, wie die Anarchisten Mühsam und Landauer, die ohne Zweifel in enger Verbindung mit bolschewistischen Organisationen arbeiten. Die Ausrufung der „Räterepublik“ nach russischem Muster bedeutet die Sprengung des neugewählten Landtages, die offene Kampfansage an die Demokratie und ein Signal weitgreifender Verwicklungen für das ganze Reich. München selbst steht vor der Gefahr zerrüttender Anarchie, die ihrerseits entsprechende Gegenwirkung auf dem flachen Land auszulösen droht. Man darf nicht vergessen, dass Bayern eine überwiegend ländliche Bevölkerung hat, die vom Zentrum glänzend organisiert ist und alles andere eine willenlose Herde darstellt, die sich jedem Machtgebot aus München unterwirft. Je extremer die Entwicklungen in München sich vollziehen, desto größer ist die Gefahr eines Rückschlages nach der anderen Seite. Der Reichsregierung fällt unter diesen Umständen die Aufgabe zu, ihre ganze Autorität einzusetzen, um eine solche Zuspitzung nach Möglichkeit zu verhindern und die Sache der Demokratie und der Republik, die gleichermaßen bedroht erscheinen, vor unabsehbaren Gefahren zu bewahren.
Quelle:
Vossische Zeitung vom 22. Februar 1919, Nr. 97, Morgenausgabe
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bimage%5D=1&set%5Bzoom%5D=default&set%5Bdebug%5D=0&set%5Bdouble%5D=0&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP27112366-19190222-0-0-0-0.xml
Bild:
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