Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Der erste Tag in der neuen Demokratie

Am 6. Februar 1919 trat das erste gesamtdeutsche, allgemein, völlig gleichberechtigt und frei gewählte Parlament der zukünftigen Weimarer Republik zusammen. Es ist der erste Tag einer deutschen Demokratie, an welcher sich nun endlich auch Frauen sowohl indirekt als auch direkt beteiligen können. Dieser Tag markiert den Startpunkt für die in den kommenden Wochen erarbeitete Verfassung und die gesamte Weimarer Republik. Nur einen Tag später berichtet die Vossische Zeitung schon vollumfänglich von den wichtigsten Ereignissen und Details dieses historischen Tages.

Volltext:

Der Tag von Weimar.

Drahtmeldung unseres Sonderberichterstatters Julius Elbau

Es verdient vorab verzeichnet zu werden, daß auch nicht der leiseste Versuch einer Störung von außen gemacht wurde. Die Weimarer Bevölkerung füllte in freudig gehobener Stimmung die Zugangsstraße zu dem provisorischen Parlamentsgebäude. Militärische Sicherheitsmaßnahmen traten überhaupt nicht hervor. Die Polizeimannschaften versahen den Absperrungsdienst, der sich völlig glatt vollzogen und nirgends Anlass zu Reibungen gab. Ruhig, freundlich und würdig war der äußere Eindruck, den die Zurüstungen zu der Eröffnung machten. Dieser Eindruck blieb ungetrübt während der Geschäftsordnung einen halben feierlichen und halb formalen Charakter trug.

Schon rein äußerlich bildet die Vorbereitung dieser ersten Sitzung eine Kraftprobe, deren Gelingen dankbar anzuerkennen verdient. In der kurzen Zeit, die der Beschlussfassung zugunsten Weimars vorausgegangen ist, haben alle beteiligten Faktoren drein gewetteifert, der deutschen Volksvertretung ein würdiges und die Arbeiten förderndes Heim zu schaffe.

Der Theatersaal, in dem die Nationalversammlung tagt, bietet mit seinem hellen freundlichen Farben einen festlichen Anblick. Das Blau-Weiß-Gold, das den harmonischen Grundton der Dekoration bildet, wurde festlich belebt durch einen fast überreichen Blumenschmuck, durch den Weimar daran erinnert wird, dass der Ruf seiner Gärtnereien auch heute noch unvermindert ist. Der Parlamentsbesucher muss sich erst daran gewöhnen in einem Hause zu sein, in dem die Ränge und Galerien den gesamten Eindruck bestimmen, während die eigentlichen Akteure, die Abgeordneten, durch die gedrängte Sitzordnung des Parketts eher etwas zurücktreten. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich entsprechend der ursprünglichen Bestimmung des Hauses auf die Bühne, wo Präsidententisch, Ministerbänke und Rednertribüne in symmetrischer Anordnung inmitten eines Blumenhains ihrer Bestimmung harren.

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung ist das Haus dichtgefüllt. Auf den Rängen überwiegend Vertreter der Presse, darunter auch eine anmutige Vertreterin der amerikanischen Journalisten. In der ehemaligen Hauptloge war das diplomatische Korps untergebracht.

Die Führer des mit dem Schutz der Nationalversammlung betrauten Landesjägerkorps mit Generalmajor Märler und Oberstleutnant Klüber an der Spitze waren ebenfalls erschienen. Auf den für das Publikum vorbehaltenen Plätzen sah man die Damen führender Parlamentarier, so Frau Payer, Frau Haußmann und Freifrau von Richthofen, ferner den früheren Volksbeauftragten Dittmann. Auch das Parkett der Volksvertretung wies frühzeitig starken Besuch auf. Besonders pünktlich waren die Frauen erschienen, geschäftig, die Würde zu üben, die meisten in Schwarz, einige auch in einfachen hellen Blusen. Die Sitzordnung läßt sich von den Rängen aus schwer übersehen. Die hinteren Bänke der linken Seite - vom Präsidentenstuhl aus gesehen - haben die 22 Unabhängigen inne. Die Sozialdemokraten der Mehrheitsparteien füllen einen sehr großen Teil der übrigen Plätze bis zur Mitte. Ziemlich genau in der Mitte sitzen die 75 Vertreter der Deutsch-Demokratischen Partei mit Payer und Fischbeck auf der ersten Bank. Nach rechts zu folgt das Zentrum, auf dessen ersten Bänken u.a. Groeber und Trimborn sitzen. Es folgen ziemlich eng beieinander Deutsche Volkspartei und Deutsch-Nationale, deren Führer, der kluge Graf Posadowsky ist, den Platz neben Trimborn hat.

Kurz vor 3 1/4 Uhr begaben sich Ebert, Scheidemann, Landsberg, Noske und Wissell auf ihre Plätze. Neben ihnen SAß der preußische provisorische Ministerpräsident Hirsch, der kurz zuvor aus dem Osten eingetroffen war. In der zweiten Reihe folgten die Staatssekretäre Bauer, Schiffer, Erzberger, Dr. Preuß, der Staatssekretär des Reichsmarineamts und der Kriegsminister Oberst Reinhandt. Der Staatssekretär des Reichswirtschaftsamtes Dr. August Müller genügte sich mit einem Stehplatz.

Pünktlich 15 Minuten nach 3 Uhr ertönte die herrenlose Präsidentenklingel und Fritz Ebert schritt aufrecht und scheinbar unbewegt zur Rednertribüne, um die Kundgebung der provisorischen Regierung zu verlesen, die der Volksvertretung, als der Quelle aller Macht, als dem eigentlichen Souverän huldigte und an sie alle Befugnisse überträgt. Der äußere Eindruck der Rede wurde dadurch charakterisiert, dass sie trotz ihrer großen Mäßigung und Zurückhaltung an vielen Stellen durch Missfallenskundgebungen von den Bänken der Deutsch-Nationalen unterbrochen wurde. Man kann bezweifeln, ob alle Mitglieder der Fraktion mit diesem Verhalten einverstanden waren, das bei dieser Gelegenheit jedenfalls überflüssig und zwecklos war. An anderen Stellen taten sich einige Unabhängige durch Zwischenrufe hervor, ohne dass man aber sagen kann, dass sie den Charakter beabsichtigter Störung trugen. Die Unterbrechungen gaben den engeren Parteigenossen Gelegenheit, zu um so stärkeren Beifallsbekundungen. Von dem schlichten Grundton der Rede hob sich eine Anzahl wohlgewählter Zitate und gut geprägter Wendungen ab.

Die Ansprache war als erste in einer deutschen Volksvertretung mit den Worten eröffnet worden: „Meine Damen und Herren!“ Mit ihr war das Interesse des Tages erschöpft. Pfannkuch, der Alterspräsident, der die Last seiner 78 Jahre aufrecht und mit erfreulicher Frische trägt, verlas eine gute pointierte Rede, die mit besonders erfreuliche Betonung jede Auflehnung gegen die Nationalversammlung, die freie Vertreterin des deutschen Volkes, als einen Akt der Gegenrevolution kennzeichnete. Starker Beifall unterstrich diesen klaren und scharfen Satz.

Durch einen Namensaufruf wurde die Anwesenheit von 297 Abgeordneten festgestellt. Morgen erfolgt die Wahl des Präsidiums, über dessen Zusammensetzung bereits eine Einigung erzielt zu sein scheint. Am Sonnabend soll der Reichspräsident gewählt und die provisorische Verfassung bestätigt werden. Und dann kann in der kommenden Woche die grundsätzliche Aussprache beginnen.

Wappen der Weimarer Republik

Quelle:

Vossische Zeitung vom 07. Februar 1919, Nr. 69 Morgenausgabe

In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bimage%5D=1&set%5Bzoom%5D=max&set%5Bdebug%5D=0&set%5Bdouble%5D=0&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP27112366-19190207-0-0-0-0.xml

 

Bild:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/fb/Wappen_Deutsches_Reich_%28Weimarer_Republik%29.svg/614px-Wappen_Deutsches_Reich_%28Weimarer_Republik%29.svg.png

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
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(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)