Die Rote Fahne erscheint wieder
Am 3. Februar 1919 erschien das erste mal seit über zwei Wochen wieder die Rote Fahne. Sie musste ihre Tätigkeit nach dem niedergeschlagenen Januar-Aufstand und dem Mord an ihren beiden prominentesten Autoren und Meinungsführern - Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - einstellen. Nun ist sie wieder zurück und auch ihr Welt- und Selbstbild hat sich keinen Deut geändert: Wir sind die unterdrückten Kämpfer für Freiheit und Sozialismus, „die“ sind die Unterdrücker für Knechtschaft und Kapitalismus.
Volltext:
An die Leser!
Donnerstag, den 16. Januar, erschien die letzte Nummer der „Roten Fahne“.
Als sie erschien, lagen schon die ermordet, die ihre letzten Zeilen geschrieben: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
Maschinengewehre und Karabiner hielten Hauseingänge und Fenster der Druckerei unter Feuer, in der die „Rote Fahne“ hergestellt wurde.
Die Auflagen der letzten Nummern der „Roten Fahne“ wurden zum größten Teil von irgend einem Leutnant der Erberischen weißen Garde „beschlagnahmt“.
Die Verbreiter der wenigen Exemplare, die der Konfiskation entgangen waren, wurden tätlich bedroht von der Soldateska.
Die Redaktionsräume wurden militärisch besetzt. Die Redakteure wurden wie wilde Tiere gejagt und gehetzt.
Alles das geschah im Namen der Pressefreiheit, der Demokratie, der Ordnung.
Die letzten Worte der „Roten Fahne“ waren flammende Ansage gegen die Würger der Revolution, aber auch mitten im Wüten des weißen Schreckens die unbezwingliche Zuversicht auf den ehernen Siegesgang der Revolution.
In demselben Geiste, mit denselben Losungen, mit denen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die Feder aus der Hand legten, nimmt die „Rote Fahne“ sie wieder auf.
Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann, den Schlächtern der Bourgeoisie! Nieder mit der Nationalversammlung, die durch den weißen Schecken aus der Taufe gehoben wurde.
Alle Macht den revolutionären Arbeiter- und Soldatenräten!
Trotz alledem.
Das waren die Worte, die Karl Liebknecht zuletzt hier schrieb. Dann kam das entsetzliche Verbrechen der viehische rohe Mord an ihm und an Rosa Luxemburg, es kamen die Verhaftungen und Durchsuchungen, die Beschlagnahmungen und Plünderungen, die vorgehaltenen Revolver und die geschleuderten Handgranaten; es kam alles so, wie wenn die Stützen der Ordnung ihr „Ordnung“ herstellten. Und dann kam das, was die Ebert-Scheidemann unter Pressefreiheit verstehen, die Freiheit der Verleumdung für die ganze Meute, von der „Deutschen Tageszeitung“ steigend bis zum „Vorwärts“, eine durch nichts unterbrochene Hetze und Lüge selbst gegen die Opfer, und für uns die Angegriffenen, die Verleumdeten, die Besudelten, ein Schweigen von drei Wochen.
Fürwahr, wenn es möglich wäre, eine im Volke tief wurzelnde Bewegung mit dem Schießprügel und der Pistole, mit Handgranaten und mit Lügen zu meucheln: die Ebert-Scheidemann stünden heute als Sieger da. Und wir sagen es ihnen heute in Gesicht: sie, die Kommuneschlächter von Berlin, die Proletarierhenker von Deutschland, sind heute schon die Geschlagenen. Sie haben sich, gleich ihrem Abgott Ludendorff, zu Tode gesiegt.
Gewiss, die alten Wahlstrategen in der Lindenstraße schwelgen in Wonne. Sie können des Zählens gar kein Ende finden, so viel Stimmen haben sie bekommen in den Nationalversammlungswahlen, in denen zum Reich und in denen zum Lande, Sitze über Sitze haben sie bekommen und sie werden in Weimar als geschlossene Herde auftreten können, wie eine amerikanische Reisegesellschaft.
Und das Blut, das sie auf den Straßen Berlins gekostet haben, macht sie lüstern nach weiterem Blut. Sie schicken ihre Schergen nach Bremen. Dort ist keine Unruhe auf den Straßen, kein Schießen auf den Plätzen. In Ruhe geht alles seinen gewohnten Gang und nur eines ist geschehen: die proletarischen revolutionären Elemente haben dort in der Arbeiterschaft die Mehrheit erlangt und haben die Mehrheit dazu benutzt, wozu sie von Gottes und Rechts wegen und nach den von den „Mehrheits“-patrioten selbst verkündeten Gesetzen berechtigt waren. Sie haben die macht ergriffen. Aber die Solidarität des Kapitalismus dudelt keine Frieden. Im kapitalistischen Deutschland muss ein proletarisches Bremen von der Erde vertilgt werden: die Gendarmen des Kapitalismus in der Wilhelmstraße werden zu neuem Henkerwerke befohlen und General Noske, der Arbeiter Noske beliebt er sich zu heißen, leitet aus der Wilhelmstraße eigenhändig den Feldzug. […]
Quelle:
Die Rote Fahne vom 03. Februar 1919, Nr. 17
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP24352111-19190203-0-0-0-0.xml
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Rote_Fahne#/media/File:Bundesarchiv_Bild_102-09223,_Berlin,_Liebknecht-Haus_am_B%C3%BClowplatz.jpg