Friedrich Ebert eröffnet die Nationalversammlung
Nach den vergangenen, turbulenten Monaten der Revolution sollte dem politischen Leben mit dem Arbeitsbeginn der Nationalversammlung eine neue, gefestigtere Form gegeben werden. Wie die Eröffnungsansprache des Volksbeauftragten Eberts zeigt, waren die Emotionen jedoch weiterhin am kochen. Fast jeder Satz seiner Rede wurde von Zurufen oder Beifall unterbrochen.
Volltext:
Die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassungsgebende Versammlung der deutschen Nation. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum erstenmal gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Die provisorische Regierung verdankt ihr Mandat der Revolution; sie wird es in die Hände der Nationalversammlung zurücklegen.
(Bravo!)
In der Revolution erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusammenbrechende Gewaltherrschaft.
(Zustimmung links. - Lebhafter Widerspruch rechts.)
Sobald das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes gesichert ist, kehrt es zurück auf den Weg der Gesetzmäßigkeit. Nur auf der breiten Heerstraße der parlamentarischen Beratung und Beschlussfassung lassen sich die unaufschiebbaren Veränderungen auch auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete vorwärts bringen, ohne das Reichs und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten.
(Bravo! links.)
Deshalb begrüßt die Reichsregierung in dieser Nationalversammlung den höchsten und einzigen Souverän in Deutschland. Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist es für immer vorbei.
(Bravo! links. - Widerspruch rechts.)
Wir verwehren niemandem eine sentimentale Erinnerungsfeier. Aber so gewiß diese Nationalversammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiß sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt.
(Lebhafter Beifall links.)
Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in alle Zukunft sich selbst.
(Bravo! links.)
Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volk geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbeiten kann.
Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution.
(Sehr wahr! links. - Lebhafter Widerspruch rechts.)
Meine Damen und Herren, es war die Kaiserliche Regierung des Prinzen Max von Baden, die den Waffenstillstand einleitete, der uns wehrlos machte.
(Zurufe.)
Nach dem Zusammenbruch unserer Verbündeten und angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Lage konnte sie nicht anders handeln.
(Sehr richtig! links.)
Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben.
(Sehr wahr! links.)
Sie ist auch nicht verantwortlich für unsere schwere Lebensmittelnot.
(Widerspruch rechts.)
Die Tatsache, daß wir durch die Hungerblockade Hunderttausende von Menschenleben verloren haben, daß ihr Hunderttausende von Männern, Frauen, Kindern und Greisen zum Opfer gefallen sind, widerlegt die Redensart, daß wir ohne die Revolution mit unsern Lebensmitteln ausgereicht hätten.
(Widerspruch rechts.)
Niederlage und Lebensmittelnot haben uns den gegnerischen Mächten ausgeliefert.
Aber nicht nur uns, auch unsere Gegner hat der Krieg ungeheuer erschöpft. Aus dem Gefühl der Erschöpfung bei unseren Gegnern entspringt ihr Bestreben, sich schadlos zu halten am deutschen Volke, wird der Ausbeutungsgedanke in das Friedenswerk hineingetragen. Diese Rache- und Vergeltungspläne fordern den schärfsten Protest heraus.
(Bravo!)
Das deutsche Volk kann nicht auf zwanzig, vierzig oder sechzig Jahre zum Lohnsklaven anderer Länder gemacht werden. Das furchtbare Unglück des Krieges für ganz Europa kann nur wieder gutgemacht werden durch Handinhandgehen der Völker. Angesichts des Massenelends auf allen Seiten erscheint die Schuld beinahe klein. Gleichwohl ist das deutsche Volk entschlossen, selbst alle zur Verantwortung zu ziehen, denen ein absichtliches Verschulden oder eine absichtliche Niedertracht nachgewiesen werden kann. Aber man soll nicht diejenigen strafen, die selbst Opfer waren, Opfer des Krieges, Opfer unserer früheren Unfreiheit.
[…]
Im Vertrauen auf die Grundsätze des Präsidenten Wilson hat Deutschland die Waffen niedergelegt. Jetzt gebe man uns den Wilsonfrieden, auf den wir Anspruch haben.
(Bravo!)
Unsere freie Volksrepublik, das ganze deutsche Volk erstrebt nichts anderes, als gleichberechtigt in den Bund der Völker einzutreten und sich dort durch Fleiß und Tüchtigkeit eine geachtete Stellung zu erwerben.
(Bravo!)
[…]
Meine Damen und Herren, die provisorische Regierung hat eine sehr üble Erbschaft angetreten. Wir waren im eigentlichem Wortsinne die Konkursverwalter des alten Regimes:
(sehr wahr! bei den Sozialdemokraten)
alle Scheuern, alle Lager waren leer, alle Vorräte gingen zur Neige, der Kredit war erschüttert, die Moral tief gesunken. Wir haben, gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte
(Lachen rechts.)
- gestützt und gefördert vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte
(lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten - Unruhe rechts)
unsere beste Kraft eingesetzt, die Gefahren und das Elend der Übergangszeit zu bekämpfen. Wir haben der Nationalversammlung nicht vorgegriffen. Aber wo Zeit und Not drängten, haben wir die dringlichsten Forderungen der Arbeiter zu erfüllen uns bemüht.
(Zurufe rechts.)
Wir haben alles getan, um das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen.
(Wiederholte Zwischenrufe rechts.)
- Meine Herren, gestatten Sie mir diese Zwischenbemerkung: Diese fortgesetzten Unterbrechungen lassen wahrlich erkennen, daß Sie in dieser schweren Zeit, die Deutschland in den letzten Monaten durchgemacht hat, herzlich wenig gelernt haben.
(Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten.)
Ich sage noch einmal: wir haben alles getan - - und Sie (nach rechts) wissen offenbar gar nicht, was zu tun notwendig war - -,
(sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)
um das Wirtschaftsleben wieder in Gang zu bringen. Wenn der Erfolg nicht unseren Wünschen entsprach, so müssen die Umstände, die das verhinderten, gerecht gewürdigt werden.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)
[…]
Sorgenvoll blickt uns die Zukunft an. Wir vertrauen aber trotz alledem auf die unverwüstliche Schaffenskraft der deutschen Nation. Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer zerbrochen. Die preußische Hegemonie, das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848,
(Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten)
so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe. Es charakterisiert durchaus die nur auf äußeren Glanz gestellte Zeit der Wilhelminischen Ära das Lassallsche Wort, daß die klassischen deutschen Denker und Dichter nur im Kranichzug über sie hinweggeflogen seien. Jetzt muß der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter wieder unser Leben erfüllen.
(Zurufe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. - Bravo! bei der Deutschen demokratischen Partei.)
Wir müssen die großen Gesellschaftsprobleme in dem Geist behandeln, in dem Goethe sie im zweiten Teil des „Faust“ und in „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ erfasst hat. Nicht ins Unendliche schweifen und sich nicht im Theoretischen verlieren. Nicht zaudern und schwanken, sondern mit klarem Blick und fester Hand ins praktische Leben hineingreifen!
„Denn der Mensch, der zur schwanken Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehrt das Übel und leitet es weiter und weiter.
(Unruhe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt der bildet die Welt sich.“
(Lebhaftes Bravo links.)
So wollen wir an die Arbeit gehen, unser großes Ziel fest vor Augen, das Recht des deutschen Volkes zu wahren, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern
(lebhafter Beifall links.)
und sie mit wahrem sozialen Geist und sozialistischer Tat zu erfüllen.
(Erneuter Beifall links.)
So wollen wir wahr machen, was Fichte der deutschen Nation als ihre Bestimmung gegeben hat: „Wir wollen errichten ein Reich des Rechtes und der Wahrhaftigkeit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt.“
(Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten und links.)
Quelle:
Stenographische Berichte der Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 1. Sitzung am 6.2.1919 (Hervorhebungen nach Ursachen und Folgen, Bd. 3, S. 247-252)
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000010_00008.html
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Ebert#/media/File:Bundesarchiv_Bild_102-00015,_Friedrich_Ebert.jpg