Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Gustav Noske: "Gewalt gegen Gewalt"

Reichswehrminister Noske verteidigt hier den Gesetzesentwurf über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr in der Nationalversammlung. Die Erarbeitung einer Heeresverfassung war wohl eine der kritischsten Aufgaben des Parlaments, welches ob der Kriegsniederlage und der Waffenstillstandsbedingungen sowie der anhaltenden Kämpfe keine unbedingte Entscheidungsfreiheit in dieser Frage besaß. Noske versuchte die positiven Neuerungen des Gesetzes im Vergleich etwa zur monarchistischen Offizierswahl und anderen überkommenen Bestimmungen zu begründen. In der Realität blieb jedoch vieles beim Alten und insbesondere das adelige Offiziersmonopol wurde höchstens ansatzweise aufgebrochen.

Volltext:

Meine Damen und Herren! Über Wehrfragen in weiterer Zukunft heute zu reden, erscheint mir unangebracht. Der Antrag der Parteien [der Mehrheitsfraktionen über die Bildung der vorläufigen Reichswehr, Anm.] trägt lediglich dringendster augenblicklicher Notlage des Reiches Rechnung. Wer darin Schreckgespenster sieht, hat eine lebhafte Phantasie, aber die wirkliche Sachlage des Reichs wird von ihm ungenügend beurteilt.

Herr [Alfred] Henke [USPD und Noskes Vorredner, Anm.] erklärt für seine Fraktion, daß sie den Grundsatz: Gewalt gegen Gewalt ablehnen müsse. Ich finde, daß es eine merkwürdige Theorie ist,

(lebhafte Zustimmung bei der Mehrheit)

sich der Gewalt Weniger bedingungslos zu beugen. Es wäre eine Torheit, wenn die Regierung zusehen und weiter dulden wollte, daß durch ein geradezu gemeingefährliches, verbrecherisches Treiben einer geringen Minderheit im Volk unsere Wirtschaft weiter zugrunde gerichtet, unser Volk in das Verderben hineingetrieben wird.

(Erneute Zustimmung bei der Mehrheit.)

Einer Regierung, die zur Hälfte aus Sozialisten besteht, ist es etwas außerordentlich Unerwünschtes, daß eine ihrer ersten Maßregeln darauf gerichtet sein muß, neue militärische Machtmittel aufzustellen und gegen eigene Volksgenossen Gewalt anzuwenden. Wenn das trotzdem geschieht, so lediglich deswegen, weil es im Interesse der großen Masse der Bevölkerung und um des Bestehens des Reiches willen unbedingt geboten ist.

Ich nehme davon Abstand, gegen den Redner der Rechten [Max Baerecke - DNVP, Anm.] viel wegen des Vorwurfs zu polemisieren, daß die Regierung nicht rechtzeitig eingegriffen und sich bemüht hat, mehr für Ordnung zu sorgen. Der Redner und seine Freunde scheinen sich über den Stand der Dinge im Reiche geraume Zeit hindurch vollständig im unklaren gewesen zu sein. Ich habe den Eindruck, als wenn sie den ganzen Ernst der Situation, in der wir uns befinden, auch heute noch nicht recht zu würdigen verstehen.

(Lehhafte Zustimmung links. - Oho! rechts.)

Ich komme mit meiner sozialdemokratischen Vergangenheit und den Reden, die ich früher als Sozialdemokrat im Reichstage zu Wehrfragen gehalten habe, nicht im geringsten in Widerspruch, wenn ich mich dafür einsetze, daß Deutschland so rasch wie möglich wieder ein gewisses Maß von militärischer Wehrhaftigkeit erhält. In unseren Reden ist niemals der Wehrlosigkeit des Reichs und des deutschen Volkes das Wort geredet worden.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Unsere Reden waren niemals dazu bestimmt, die Disziplin im Heere zu untergraben. Was wir getan haben, und was wir heute nicht zu bereuen haben, das war die Bekämpfung gewisser Einrichtungen des alten Heeres. Wie sehr wir mit unserer Kritik recht gehabt haben, beweisen nach meiner Überzeugung eine Menge Vorgänge, die wir in der letzten Zeit gesehen haben. Diese Mängel zu beseitigen, wird unsere Pflicht sein. Im übrigen aber wird selbstverständlich darauf Bedacht genommen werden, daß, wenn Deutschland nicht durch internationale Abmachungen zu einem anderen Verhalten veranlaßt wird, der Satz des Erfurter Programms zur Durchführung gelangt, der lautet: „Erziehung des Volkes zur Wehrhaftigkeit.“ Ich gebe zu, daß das, was jetzt von den Parteien beantragt wird, keineswegs diesem sozialdemokratischen Ideal auch nur im entferntesten nahekommt.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Ich betone noch einmal: es handelt sich lediglich darum, der drückendsten Notlage für den Augenblick einigermaßen Rechnung zu tragen. Wenn wir über die schwersten Zeiten politischer und wirtschaftlicher Erschütterungen hinüber sind, wenn in hoffentlich nicht zu ferner Zeit uns ein Friede beschert wird, den das Volk tragen kann, dann wird an die großen Erziehungsideale herangegangen werden können, die die Sozialdemokratie auch auf militärischem Gebiet hofft verwirklichen zu können.

[…]

Jetzt soll und muß der Versuch gemacht werden, in das Durcheinander auf militärischem Gebiet einigermaßen Ordnung hineinzubringen. Eine ganze Reihe von Formationen besteht eigentlich aus eigener Machtvollkommenheit derjenigen, die ihr angehören. Es ist eine ganze Anzahl derjenigen Verbände, die jetzt in den Städten als Schutztruppe, als Sicherheitswehre usw. Dienste tun. Dieses Durcheinander kann nicht weiter bestehen. Es wird nicht mit einem Male verschwinden; aber ich hoffe, daß wir doch in nicht allzulanger Zeit ein gewisses Maß von Regel und Ordnung wieder in das hineinbringen, was wir unser Wehrwesen nennen können.

Das alte Wehrgesetz - das möchte auch ich ausdrücklich betonen - besteht zurzeit noch durchaus zu Recht.

(Sehr richtig! im Zentrum.)

Zum Schutz der eigenen Scholle sind in den letzten Wochen im Osten ein paar tausend Mann aufgerufen worden. Es ist selbstverständlich, daß auch die Reichswehr in allererster Linie dem Grenzschutz dienen sollte.

Herr Henke bestreitet, daß eine Bedrohung Ostpreußens durch die bolschewistische Regierung in Frage kommen könne. Wir würden es außerordentlich begrüßen, wenn seine Annahme zu Recht besteht. Aber selbst wenn die Petersburger Regierung nicht die Absicht hat, russische Soldaten über die deutschen Grenzen ziehen zu lassen, so erscheint es mir doch einigermaßen fraglich, ob die Petersburger Machthaber die Banden, die sich im Lande gebildet haben, so in der Hand haben, daß nicht eine Bedrohung Ostpreußens in Frage kommen kann.

(Sehr richtig! rechts.)

[…]

Ich kann nicht anerkennen – ich möchte des dem Redner der Rechten gegenüber betonen – , daß ich wenigstens es an loyaler Anerkennung dessen habe fehlen lassen, was von den Offizieren bei der Demobilisierung und in neuerer Zeit auch bei der Aufstellung von Freiwilligenverbänden geleistet worden ist. Die Offiziersfrage einwandfrei sehr rasch zu lösen, wird nicht leicht sein. Die Verhältnisse sind zurzeit außerordentlich verworren. Es gibt eine beträchtliche Anzahl an Formationen, in denen nicht ein einziger Offizier Dienst tut. Es sind andere Formationen da, in denen Offiziere mit bei der Arbeit sind, in denen aber ihr Bestimmungsrecht eine starke Beschränkung erfahren hat. Eine ganze Anzahl Formationen werden von Personen aus dem Mannschaftsstande geführt. Es wird darauf Wert gelegt werden, daß diejenigen, die sich wirklich als Führer bewährt haben, auch in ihren Stellungen bestätigt werden, und daß sie die Bezüge ihrer Stellung erhalten. Das Wort „Freie Bahn dem Tüchtigen“ wird in der neuen deutschen Armee, ganz gleich, wie groß sie sein wird, Geltung haben. Es wird dafür Sorge getragen werden, daß derjenige, der wirklich militärisches Können entwickelt, auch die Möglichkeit hat, zu den höchsten Stellen emporzusteigen.

Sonst will ich zur Führerfrage noch so viel sagen, daß selbstverständlich der Führer militärischer Formationen nicht der Spielball der Stimmung der Mannschaften sein kann und darf.

(Lebhafte Zustimmung.)

Herr Henke hat nach der Art und nach den Funktionen der Soldatenräte gefragt, die in dieser Reichswehr eingerichtet werden sollen. Es muß natürlich darauf Bedacht genommen werden, daß das erforderliche Mitbestimmungsrecht, das sich mit der Verwendungsfähigkeit, der Schlagkraft, der Geschlossenheit der Truppe vereinbaren läßt, auch in diesen Freiwilligenformationen der Mannschaft zugestanden wird. Es müssen besonders Beschwerden frei geltend gemacht werden können. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Henke und seine Freunde etwa Neigung dazu verspüren, in einer Truppe, die aus Freiwilligen besteht, die geworben wird, Soldatenräte mit sehr weitgehenden politischen Rechten auszustatten. Das wäre nach meiner Überzeugung gerade vom demokratisch-politischen Standpunkt das bedenklichste, was man sich vorzustellen vermag.

(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten und links.)

Soldatenräte in einer derartigen Freiwilligentruppe etwa nach dem Schlagwort: "Alle politische Macht den Soldatenräten", bedeutet ja die politische Macht in Deutschland einer Truppe ausliefern, die dann leicht Neigung dazu verspüren könnte, sich zu einer Prätorianergarde auszuwachsen.

(Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.)

Da aufzupassen und auf der Hut zu sein, ist eine selbstverständliche Pflicht der Regierung.

(Sehr richtig!)

Was in der Begründung zum Entwurf gesagt wird, unterschreibe ich durchaus. Es muß darauf geachtet werden, daß in diesen Freiwilligentruppen straffste Mannszucht und tadellose Disziplin geübt wird.

(Bravo!)

Wenn das nicht der Fall wäre, dann würde diese Truppe nicht einen Schutz für die Bevölkerung, sondern eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen.

(Sehr richtig!)

Selbstverständlich muß darauf Wert gelegt werden, daß der Soldat der Zukunft sich angelegen sein läßt, in freiwilliger Unterordnung möglichst Mustergültiges zu leisten.

Ich glaube, namens der Regierung den Parteien versichern zu können, daß sie bemüht sein wird, so rasch wie möglich ein Instrument zu schaffen, das uns das erforderliche Maß von Sicherheit an den Grenzen und von Ordnung im Lande garantiert. Ich hoffe, daß das bloße Vorhandensein der Reichswehr schon derart wirken wird, daß sie zu ernsten Kämpfen nicht Verwendung zu finden braucht.

(Bravo! bei den Mehrheitsparteien.)

Quelle:

Stenographische Berichte der Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 15. Sitzung, 25.2.1919

In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000010_00315.html

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
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(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)