Hugo Preuß präsentiert den Verfassungsentwurf
Preuß war der profilierteste demokratische Staatsrechtler seiner Zeit. Dass er bereits vom Rat der Volksbeauftragten den Auftrag erhielt den Entwurf einer neuen Verfassung für das Reich auszuarbeiten, war insofern eine logische Wahl. Gleichzeitig gab es vielfältige Interessengruppen, Institutionen und Einzelpersonen, die ihren Beitrag zum Verfassungsgebungsprozess leisteten. Im Endergebnis wurde die Verfassung - und dies galt bereits für ihren Entwurf - zu einem vielstimmigen Dokument, wie auch Preuß beklagte, der sich einen einheitlicheren organisatorischen Grundgedanken gewünscht hatte. Einen demokratischen Leitgedanken, der als Minimalkompromis bereits beeindruckend genug ist, konnte Preuß seinem Entwurf dennoch abgewinnen.
Volltext:
[...] Als ich vor zwei Wochen hier die vorläufige Verfassung einzuführen die Ehre hatte, da war ich mir selber keineswegs sicher, daß ich schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit in der Lage sein würde, den Entwurf der endgültigen Verfassung nach einstimmigem Beschluß des Reichsministeriums [d.i. die Reichsregierung Scheidemann, Anm.] und nach Vereinbarung mit dem Staatenausschuß [d.i. der provisorische Reichsrat, Anm.] dem hohen Hause vorlegen zu können. Gewiß, der Entscheidungskampf um die Bestimmungen der Verfassung beginnt erst jetzt. Die bisherigen Erörterungen in der Presse und namentlich auch im Staatenausschuß mögen erst als eine Art von Vorpostengefecht charakterisiert werden; aber immerhin sind sie hartnäckig genug geführt worden. Ich darf sagen, wir haben uns gegenseitig, die Vertretung der Reichsregierung und die Vertreter der Gliedstaaten, das Leben ehrlich sauer gemacht, unsere Geduld gegenseitig ehrlich auf die Probe gestellt, und am Ende sind wir doch in der Hauptsache zu einer Verständigung gekommen, was nicht anders möglich war, als daß jeder einen order einige Pflöcke zurücksteckte. Ob das von der einen oder anderen Seite genügend oder schon gar zu viel geschehen ist, darüber wird die Nationalversammlung endgültig und entscheidend zu bestimmen haben. Natürlich werden wir uns in der weiteren Behandlung der Verfassung nicht beruhigt auf das Faulbett legen können. Aber in einer Zeit, da schmerzlichste Sorgen nur allzu berechtigt sind, meine ich, sollte man doch nicht in ungesundem Pessimismus seine Augen vor doch hervortretenden erfreulichen Tatsachen verschließen, die immerhin eine gewisse neue Zuversicht wecken können. Es ist richtig: man vermisst – und nicht mit Unrecht, namentlich wenn man den augenblicklichen Zustand vergleicht etwa mit der Stimmung, wie sie in den Anfangstagen der Paulskirche zu Frankfurt am Main herrschte – den großen Schwung der Stimmung; aber übersehen wir doch darum nicht eine Hauptsache: es ist hier in zweimal 24 Stunden die vorläufige Verfassung zustande gebracht worden, etwas, was wir in der deutschen Geschichte noch nicht erlebt haben.
(Heiterkeit.)
Weiter, es ist jetzt in kurzer Zeit ein Entwurf vorbereitet worden und, wie gesagt, in allen Hauptsachen auch mit den Gliedstaaten-Regierungen vereinbart. […] Wahrlich, ich verkenne darüber gar nicht - wenn etwa darauf die Heiterkeit hindeuten sollte -: der organisatorische Grundgedanke konnte nicht in klarer Einheitlichkeit restlos durchgeführt werden, er hat Abbiegungen, Ausnahmen erleben müssen, er weist jetzt eine etwas gebrochene Linienführung auf. Aber wenn ich darüber gerade heute in Blättern der Rechten etwas von Flickwerk las, das dieser Verfassungsentwurf der neuen Republik darstellen soll, so ist es selbstverständlich, daß Blättern der Rechten der Verfassungsentwurf der Republik nicht gefallen kann: aber gerade das, was ihnen von ihrem Standpunkt mit Recht nicht gefallen kann: die republikanische Staatsform, die Durchführung der Demokratie ist restlos unter gerader Linienführung in diesem Verfassungsentwurf enthalten. Wo aber Brechungen, Ausnahmen, Dinge, die uns auch nicht gefallen, darin enthalten sind, sind sie ohne Ausnahme Erbschaften aus der früheren Verfassung des Kaiserreiches,
(sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten)
die Rechte der Einzelstaaten, die Reservatrechte usw. Alle die partikularistischen Verankerungen und Verflechtungen, die in der früheren Verfassung vorhanden waren, sind hineingekommen auf der Höhe siegreicher Stellung des jungen Reiches. Daß es nun nicht möglich ist, in der heutigen Lage sie alle daraus zu beseitigen, das sollten wahrlich die Anhänger des Alten zu allerletzt dem Neuen zum Vorwurf machen, und wir dürfen auch sagen, daß in dieser Beziehung Fortschritte erzielt sind, wenn auch nicht alles erreicht ist, was zu erreichen ich selbst am meisten gewünscht hätte.
Wenn ich aus diesen Ausstellungen der gegnerischen Blätter der Rechten entnehmen darf, daß Ihnen mein erster Entwurf [vom 20. Januar 1919, Anm.] besser gefallen hat, so ist mir das äußerst schmeichelhaft. Aber ich habe nie gehofft, daß er en bloc angenommen wird. Worauf es aber ankommt, auch bei den Einräumungen, die etwa zu machen sein werden, das ist, der notwendigen Fortbildung die Bahn frei und offen zu halten. Wenn das geschieht, so wird, glaube ich, das Verfassungswerk von Weimar seine hohe Aufgabe erfüllt haben. Einst aus dem klassischen Geiste von Weimar
(Heiterkeit rechts)
sprach mit resigniertem Stolz der Spruch:
Zur Nation Euch zu bilden, Ihr hoffet es, Deutsche, vergebens.
Bildet darum – Ihr könnt’s – freier zu Menschen Euch aus!
Solche Scheidung scheint dem Geist unserer Zeit nicht möglich. Die Entfaltung freien Menschentums scheint uns nur in der politischen Freiheit des Volkstums gesichert. Das deutsche Volk zu sich selbst bestimmenden Nation zu bilden, zum erstenmal in der deutschen Geschichte den Grundsatz zu verwirklichen: Die Staatsgewalt liegt beim Volke, – das ist der Leitgedanke der freistaatlichen deutschen Verfassung von Weimar. [...]
Quelle:
Stenographische Berichte der Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 14. Sitzung am 24.2.1919
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000010_00291.html