Jenaer Volksblatt: Die Weichen für die Zukunft
Die inhaltliche Arbeit der Nationalversammlung hat begonnen. Die gewählten Vertreter müssen sich nun darauf einigen, wie das zukünftige politische System Deutschlands auszugestalten sein und wie Deutschland überhaupt aussehen sollte. Die Angst vor einem Auseinanderbrechen des Reiches schwebte wie ein Geist über den Debatten - eine Angst, die auch die Jenaer Volkszeitung aufgriff.
Volltext:
Die vorläufige Reichsgewalt.
Nach der Erledigung der geschäftlichen Formalitäten ist die Nationalversammlung am Sonnabend in die Beratung der Verfassungsfragen, konkret gesprochen in die Beratung des Gesetzentwurfes über die Schaffung einer vorläufigen Reichsgewalt eingetreten. Es ist klar, dass hierbei eine Art Generaldebatte, wenn sie aus praktischen Gründen auch nicht in der ersten Lesung vorgekommen ist, über die gesamten Probleme des staatlichen Aufbaus des neuen Deutschlands stattfinden und dass auch somit vieles, was sich an Forderungen, Wünschen, Hoffnungen und Anklagen seit der Revolution angesammelt hat, zum Ausdruck kommen wird.
Die erste Lesung dauerte am Sonnabend noch nicht eine Stunde. Man beschränkte sich darauf, die begründende Rede des Staatssekretärs Dr. Preuß entgegenzunehmen, der es seinerseits wieder vermied, die staatspolitischen Probleme von Grund aus anzurühren, sich vielmehr darauf beschränkte, den vorläufigen Verfassungsentwurf mit Erwägungen praktischer Art zu begründen. Nur hin und wieder streifte er die entscheidenden Grundlagen, die naturgemäß auch ihn nicht unberührt gelassen haben. Dabei stellte er den Gedanken der Reichseinheit, der das Charakteristikum des Entwurfes über die endgültige Verfassung ist, in den Vordergrund und fand damit starken Beifall, während sonst die Versammlung sich der Äußerungen ihrer Meinung fast völlig enthielt. Wir möchten wünschen, dass dieser Gesichtspunkt auch bei den Beschlüssen die entscheidende Beachtung fände, die er verdient. Staatssekretär Dr. Preuß sagte zu wiederholten Male entschuldigend, dass der vorläufige Verfassungsentwurf das Ergebnis langwieriger Kompromissverhandlungen sei. Das trifft nur zu sehr zu, besonders bei den Bestimmungen über den Staatenausschuss. Die Nationalversammlung würde sich ein Verdienst erwerben, wenn sie es durchsetzte, den Gedanken der Reichseinheit auch bei der Schaffung der vorläufigen Verfassung fester zu verankern, als es die Kompromissverhandlungen unter den einzelstaatlichen Ministern leider ermöglicht haben. Man soll gewiss im Augenblick partikularistische Empfindungen nicht ohne Not verletzen. Die Gefahr aber, dass ein Entgegenkommen gegenüber diesen Empfindungen bei den Verhandlungen über die vorläufige Verfassung auf die Beratung über die endgültige Verfassung ungünstig zurückwirken könnte, lässt sich schwer abweisen. Dr. Preuß zitierte Heinrich von Gagern und gedachte der Einheitsbestrebungen der Paulskirche, die an dem Widerstand der Dynastien gescheitert seien. Es wäre beschämend, ja es wäre ein nationales Unglück, wenn die ungekrönten republikanischen Könige der Gegenwart denselben unheilvollen Einfluss ausüben wollten.
Die Nationalversammlung ist souverän, sie soll schaffen eine einheitliche deutsche Volksrepublik, die den Stürmen der Zukunft trotzen kann, die den Wiederaufbau des deutschen Staates, eine neue wirtschaftliche Blüte des deutschen Volkes ermöglicht. Da heißt es stets und unbeugsam bleiben in den entscheidenden Grundfragen der neudeutschen Staatspolitik. Das ist der Wunsch den wir für die Verhandlungen der Nationalversammlung in dieser Woche, deren Tragweite nicht zu überschätzen ist, empfinden und uns auszusprechen für verpflichtet halten.
Quelle:
Jenaer Volksblatt vom 11. Februar 1919, Nr. 35
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00258958/JVB_19190211_035_167758667_B1_001.tif?logicalDiv=jportal_jparticle_00615438
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Schott#/media/File:Friedrich_Otto_Schott.jpg