Thomas Mann: Folter beim Zahnarzt!
Mann berichtet von seinen Horror-Erlebnissen beim Zahnarzt. Er wird vorerst nicht mehr dorthin gehen. Abends nimmt er an einer Lesung teil und genießt allgemeine Anerkennung für seine “Beobachtungen”.
Volltext:
Dienstag den 4. II.
Hoher Schnee und Kälte. Beendete den Abschnitt von der Mittelohr-Entzündung. - Wieder endlose Sitzung bei Gosch: Anprobe des Gerüsts der Brücke, Goldkappen, Stifte etc. Gelinde Folter, in die Länge gezogen. Als schließlich noch ein Gipsabguß des Oberkiefers an die Reihe kam, auf den ich nicht vorbereitet war, wurde mir angst und schlecht, sodas der Abguß fast nicht zustande gekommen wäre. Es ist zu viel. Werde nun wenigstens 2 Tage aussetzen. – Aß wieder allein zu Mittag, wie schon mehrmals. – An Bachstitz kouvertierte ich Scheck über 10.000 M als Anzahlung. Wir haben die kleine Trinkerscene von Jan Miense Molenaer und das Marmorrelief von Coysevoix (1683) mit der Maßgabe erworben, daß dem B. das Recht des Weiterverkaufs zu einem Preise von über 30 000 M zusteht. - Nachmittags geschlafen. Thee allein, K. in der Arcisstraße. Nach dem Abendessen per Auto zu Caspari, in deren Privatwohnung Speyer sein neues Lustspiel »Er kann nicht befehlen« vor größerer Gesellschaft vorlas. Das Stück schien mir allerliebst. Soziale Komödie, phantastisch. Sehr möglich, daß die Revolution unser Publikum für dergleichen reif gemacht hat. Ein begabter Bursche, wenn auch als Talent wohl unernst. Es waren da: die Bierkowsky, die Du rieux, Waldau, der »Intendant«, Feuchtwanger u. Frau, Frank, Richter, Hörschelmann, Ettlinger, die Hagen u.s.w. In der Pause und später gab es Champagner, Brötchen und Torte. Gegen 12 zu Fuß nach Hause. Man hat mir viel von den Betrachtungen gesprochen.
Quelle:
de Mendelssohn, Peter (Hrsg.), Thomas Mann. Tagebücher 1918-1921, Frankfurt am Main 1979, S. 144 f.