Weltbühne: Aus alt mach neu?
In der Weltbühne beobachtet Rudolf Leonhard nicht sonderlich erfreut die Entwicklungen der letzten Wochen. Zum einen zweifelt er mehr als deutlich die Kompetenz der neuen Ebert-Scheidemann Regierung an, zum anderen sieht er alte Kräfte wieder die neuen Posten besetzen.
Volltext:
Die Sicherheit in der Auswahl falscher Leute für die Regierungsposten sucht ihresgleichen. Ich sprach sogar einen garnicht radikalen süddeutschen Demokraten von Ruf, der, obzwar er meine eigenen Vorschläge ablehnte, die Konstellation Ebert-Scheidemann „eine Provokation nach innen und außen“ nannte. Aber nun ist doch noch Herr Fehrenbach Präsident der Nationalversammlung geworden, und der alte Reichstag, von dem man nie vergessen darf, daß er die schwerste Schuld trägt, wäre im „neuen Deutschland“ nicht nur nach Personenzusammenstellung und Gruppierung zum Block beisammen, sondern auch in wenigstens ehrlicher Verleugnung der Revolution wie früher repräsentiert. Der Rechtsanwalt Konstantin Fehrenbach aus Freiburg aber wird träumen, daß seine Einberufungen des Reichstags Erfolg gehabt, und daß er die Revolution aufgehalten habe, und schließlich ist das garnicht so weit von der Wahrheit. Der Ministerpräsident Scheidemann aber wird träumen, er heiße eigentlich Max von Baden, und schließlich ist auch das garnicht so weit von der Wahrheit. Und wir alle werden träumen, daß wir die Revolution nur geträumt haben. Und Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt soll nach Herrn Doktor David, dem berühmten Verfasser der stockholmer Broschüre, Herr Naumann werden, dem die europäischen Gassenjungen auf allen Konferenzen „Mitteleuropa“ nachrufen werden, selbst wenn sie von der Verewigung der Schützengräben nichts wissen, sein voreiliges Buch über Polen nicht gelesen haben und so tun, als hätten sie nicht bemerkt, daß die unwahrscheinliche Kombination „Demokratie und Kaisertum“ in einer Hälfte und durch eine Hälfte reichlich blamiert ist. Die andre tut alles, um ihr nachzueifern, nicht ohne Hilfe des Erfinders. Es bleibt bald nur noch übrig, Mitteleuropa für eine Schlafwagengesellschaft zu halten.
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In einem der Spartacus-prozesse sind bei der Strafbemessung die Vorstrafen des Angeklagten „wegen Achtungsverletzung und Ungehorsam beim Militär“ berücksichtigt worden. Die Presse hatte nichts dazu zu bemerken; ihre würde es wohl auch schmerzlos eingehn, wenn Vorstrafen wegen Majestätsbeleidigung berücksichtigt würden.
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In Frankfurt haben sie einen Oberpostsekretär, der nach sechsunddreißigjähriger Dienstzeit einige Feldpostpäckchen mit Eiern und Butter zurückgehalten hat, nicht nur zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, sondern auch zur Aberkennung der Fähigkeit, auf die Dauer von drei Jahren ein öffentliches Amt zu bekleiden. Zum Teufel, wenn das euer Recht ist, möge es zugrunde gehen, wie eure Welt zugrunde gehn möge – euer Recht, das dem großen Hamster nichts tut und hinter der kleinen Feldmaus zuschlägt. Oder ist euer mitleid mit dem hunger der enttäuschten Empfänger so groß, daß ihr den des alten Beamten nicht fühlt, dem doch eine Welt zusammenbrach, noch ehe Ihr ihm die Amtsfähigkeit abspracht? Wie ist es mit dem Begnadigungsrecht des Reichspräsidenten? Wenn es bestritten wird, appeliere ich an das Begnadigungsrecht der Revolution.
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In der Vossischen Zeitung stellt Herr Georg Bernhard mit vollem Recht fest, daß den alten Reichstag die Hauptschuld an Deutschlands Unglück treffe. Er hat aber die Stirn, zu schreiben: „Es berührt merkwürdig, wenn man überall in führenden Stellungen wieder die alten Gesichter auftauchen, die alten Kräfte erneut wirksam werden sieht“. Und sein altes Gesicht, in der Führung der Vossischen Zeitung?
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Die Tägliche Rundschau sieht in den Achselstückchen das Symbol der Ehre. Ich meine, eine abreißbare Ehre sollte man abreißen – sich und Andern. Und fährt fort, die Tägliche Rundschau: „Zu Söldnern des Internationalismus sind wir zu schade“ – nachdem sie eben zu Söldnern des Nationalismus durchaus schlecht genug gewesen waren!
Quelle:
Die Weltbühne vom 20. Februar 1919. 15:9 (1919), S. 195 f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Leonhard#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-12628-0001,_Berlin,_Tagung_deutscher_Verleger,_R._Leonhard.jpg