Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

DE | EN

Schneeweiße Wahlen in Preußen

Eine Woche nach den Wahlen für die Deutsche Nationalversammlung fanden die Wahlen für die verfassungsgebende Landesversammlung Preußens statt, um auch hier auch demokratischen Weg die Zukunft des staatlichen Systems zu bestimmen. Die Berliner Volkszeitung wählt einen sehr bürgernahen Blick auf das Ereignis.

Volltext:

Die Wahl im Schnee.

Berlin, zum ersten Male in diesem Winter im tollen Schneekleide, hat nun auch die Preußenwahl vollzogen. Ebenso, wie die Nationalwahl ist sie in würdiger Ruhe vor sich gegangen, ein schönes Bild von dem Ernst der Bürger und Arbeiter bietend, die sich der Schwere dieser Monate bewußt sind. Von keiner Stelle aus sind Zwischenfälle gemeldet worden, es brauchte nicht geschossen und verhaftet zu werden. Die Ängstlichen haben unrecht behalten, und wir wünschen, daß die blutige Spartacus-Woche bald nichts mehr sein möchte als ein böser Traum. Die starke Schutzmacht, die am vorigen Sonntag dem Wahlakt ein so eigentümliches Gepräge gab, war gestern in den Hintergrund getreten. Vor den Wahllokalen, die vor einer Woche von mehreren jungen Soldaten in Kriegsausrüstung geschützt waren, stand gestern nur wieder der Wachtmeister oder der Sicherheitsmann. Möge auch dies Bild ein gutes Zeichen für die Zukunft sein. Zwischen den in Weiß gehaltenen Straßen und Häusern fehlten gestern auch die langen Polonäsen der auf den Wahlakt wartenden Männer, Frauen, Jünglinge und Mädchen. Die Kälte sorgte dafür, daß die Wahlen sich über den ganzen tag gleichmäßig erstreckten, während am vorigen Sonntag bis zur Mittagsstunde das Gros der Wahlberechtigte seiner Pflicht schon genügt hatte. Die Zettelverteiler der Parteien wurde von ihren erstarrten Füßen und Händen gleichfalls gezwungen, die Straße zu räumen und sich in das mehr oder weniger warme Innere des Lokals zu begeben. Ob die Wahlbeteiligung im allgemeinen von derselben Stärke am Vorsonntag gewesen ist, läßt sich heute mit Genauigkeit noch nicht feststellen. Nur so viel ist zu sagen, daß in manchen Bezirken die Schlepper in den Nachmittagsstunden mit langen Listen abrückten, um die vielen Säumigen herbeizuholen. Der Ernst der Stunde und der Gedanke daran daß bei den gestrigen Wahlen endgültig über das Preußen der Reaktion Gericht zu halten war, läßt uns nicht daran glauben, daß sich Wähler und Wählerinnen etwa durch die niedrige Temperatur haben abhalten lassen, die Reihen der für ein neues Preußen der Freiheit Stimmenden zu stärken. Wir hoffen jedoch, schon morgen oder übermorgen von einer ebenso starken Wahlbeteiligung wie am Nationalwahltage zu hören. Die Werbetätigkeit der Parteien schien nach der etwas ruhiger verlaufenen Woche gestern stellenweise noch energischer gewesen zu sein als am Vorsonntag. Im Norden, Osten und Süden waren die Unabhängigen in ihrer Agitation bedeutend stärker, unvermindert groß war das papierüberreiche Bemühen der Mehrheitspartei. Beide Richtungen warben mit ihren alten Argumenten und Forderungen. Das konnten die konservativen und kapitalistischen „Volks“-parteien nicht nachdem ihnen in der Vorwoche der alte Wind aus den Segeln genommen war. Dafür versuchten sie es mit neuen Schwindel und neuen Verleumdungen. Es ist kein Scherz die Parteien, die Preußen durch den Krieg im Grunde erschüttert hatten spielten sich in Millionen Flugblättern jetzt als seine einzigen Retter auf. Die Propaganda der Deutschen demokratischen Partei, wie am Vorsonntag durch alle modernen Hilfsmittel unterstützt, versäumte nicht, diese „Retter“ vor den Wählern noch einmal anzunageln als das was sie waren, was sie sind und ewig sein werden: als Schutzparteien der Junker und der Wahlrechtsfeinde.

Rudolf Mosse, Verleger der Berliner Volks-Zeitung

Quelle:

Berliner Volkszeitung vom 27. Januar 1919, Nr. 35 Morgen

In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP27971740-19190127-0-0-0-0.xml

 

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Volks-Zeitung#/media/File:RudolfMosse.jpg

Glossar anzeigen
Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
[BüttnerBüttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008.
[DNV]Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, hrsg. v. Ed.[uard] Heilfron, Bd. 1 bis 6, Berlin [1919].
[Ebert/Wienecke-JanzEbert, Johannes/Wienecke-Janz, Detlef, Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, Gütersloh/München 2006.
[EK]Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 1993.
[EtzoldEtzold, Hans-Rüdiger, Der Käfer II. Die Käfer-Entwicklung von 1934 bis 1982 vom Urmodell zum Weltmeister, Stuttgart 1989.
[GG]Gitta Günther: Weimar-Chronik. Stadtgeschichte in Daten. Dritte Folge: März 1850 bis April 1945 (Weimarer Schriften, Heft 33), Weimar 1987.
[GrüttnerGrüttner, Michael, Das Dritte Reich 1933-1945 (= Bd. 19, Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2014.
[HildebrandHildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 7. Aufl., München 2010.
[Kessler Tgbb]Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996.
[KittelKittel, Erich, Novembersturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 104 (1968), S. 42-108.
[KolbKolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 7. durchges. und erw. Aufl., München 2010.
[NiedhartNiedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, 2. aktualisierte Aufl., München 2010.
[O/S]Manfred Overesch/ Friedrich Wilhelm Saal: Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Düsseldorf 1992.
[Overesch/SaalOveresch, Manfred/Saal, Friedrich Wilhelm, Die Weimarer Republik, Eine Tageschronik der Politik, Wissenschaft Kultur, Augsburg 1992.
[PeukertPeukert, Detlef, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
[PK]Paul Kaiser: Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar (Weimarer Schriften, Heft 16), Weimar 1969.
[PM]Paul Messner: Das Deutsche Nationaltheater Weimar. Ein Abriß seiner Geschichte. Von den Anfängen bis Februar 1945 (Weimarer Schriften, Heft 17), Weimar 1985.
[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
[TofahrnTofahrn, Klaus W., Chronologie des Dritten Reiches. Ereignisse, Personen, Begriffe, Darmstadt 2003.
[UB]Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistungen und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
[VU]Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009.
[WinklerWinkler, Heinrich-August, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der Ersten deutschen Demokratie, München 1993.
[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)