Spartakus-Unruhen in Halle
Die Auseinandersetzungen in Berlin strahlten auch auf die Provinz aus. In Halle - einer Hochburg der Unabhängigen - kam es ebenfalls zu bewaffneten Krawallen. Angriffsziele der USPD-Demonstraten waren interessanterweise nicht die Rechten, sondern die Presse und die DDP, deren Geschäftsstelle verwüstet wurde. Solche Übergriffe auf eine freie Meinungsbildung und Berichterstattung durch Linksradikale hatte es vor den Wahlen zur Nationalversammlung auch andernorts gegeben.
Volltext:
Spartakus-Unruhen in Halle
Auch auf Halle haben die spartakistischen Unruhen übergegriffen. In der Nacht vom Montag zum Dienstag begannen die Umzüge und Krawalle in der Stadt, und am heutigen Vormittag fanden sie verschiedentlich ihre Fortsetzung.
Im Volkspark fand gestern abend der erste „Aufklärungsabend“ des hiesigen Soldatenrates statt, in dem zunächst der Unabhängige [Wilhelm] Koenen in aufhetzender Weise über die letzten Berliner Vorgänge sprach. Im Anschluss an seine Ausführungen kam es zu lebhafter Diskussion, an der sich zahlreiche Soldaten beteiligten, und die zu Tumulten und Handgreiflichkeiten führte. Als die Menge den Saal verlassen wollte, wurde plötzlich von einem Matrosen der Ruf: „Auf zur Halle-Zeitung!“ unter sie geschleudert, der stürmischen Widerhall fand. Die Menge zog darauf unter Absingen sozialistischer Gesänge und Hochrufen auf Liebknecht und Rosa Luxemburg und „unsere russischen Brüder“ zum Marktplatz, wo der Sozialist Schönlank sie empfing und eine Ansprache hielt, in der er nach einem Hoch auf Liebknecht aufforderte, vom S.-Rat zu fordern, dass unverzüglich die auf dem Marsche nach Berlin durch Halle fahrenden regierungstreuen Truppen entwaffnet werden. Der etwa 200 Mann starke Zug begab sich dann zum Wettiner Hof, wo einige von den Soldaten sich anschickten, die Demonstranten mit Waffen auszurüsten. Man ließ „unsere revolutionäre Matrosenkompagnie“ hochleben. Unter den jubelnden Rufen „Hoch Liebknecht!“, „Nieder Ebert-Scheidemann!“ hielt hier ein Matrose die Rede auf die neueste Republik, die es seit gestern abend in Deutschland gäbe. (?)
Heute vormittag nach 10 Uhr fand verabredungsgemäß auf dem Marktplatze eine große Demonstration der Unabhängigen statt. Etwa 400 Menschen hatten sich angesammelt. In verschiedenen größeren Fabriken der Merseburgerstrasse erschienen vormittags bewaffnete Boten der Unabhängigen, die die Betriebsleitungen aufforderte, die Werkstätten zu schließen, weil die Arbeiter um 11 Uhr geschlossen zum Markt ziehen würden. Einige Werke gelang es auch auf diese Art zu bluffen. Auf dem Markte zogen die Aufrührer vor die dortige Geschäftsstelle der demokratischen Partei, unter Hochrufen auf Liebknecht und die Republik drangen ein Matrose und ein Feldwebel in die Geschäftsstelle ein und räumten sämtliche Flugblätter und Geschäftspapiere aus, um sie sofort auf dem Markte zu verbrennen. Die Stimmung war sichtlich erregt. Überall standen Menschengruppen herum, die über den Terror schimpften und sich dabei die Augen reiben mussten, weil sie der beißende Rauch der brennenden Papierhaufen zu Tränen zwang. Das leere Geschäftslokal der demokratischen Partei wurde von einer „Sicherheitswache“ besetzt. Weiter war geplant, mehrere Zeitungen auch die „Hallesche Zeitung“ zu stürmen. Es blieb vorläufig bei dem Vorsatz. Die Zeitungsbetriebe sind von Sicherheitswachen besetzt.
Während der Markt sich allmählich zu leeren begann und nur der Platz vor dem Roten Turm noch von Menschen gefüllt war, zog durch die Leipziger Straße in der Richtung zum Rathaus ein neuer Demonstrationszug, der diesmal aber von den Mehrheitssozialisten veranstaltet worden war. Der Verkehr und das Geschäftsleben in der Stadt haben während der Umzüge und Menschenansammlungen ihren geregelten Gang behalten, ebenso ist der Zugverkehr auf allen Strecken unbehindert geblieben. Es werden jedoch neue Demonstrationen erwartet.
Quelle:
Hallesche Zeitung vom 7.1.1919
Das Digitalisat wurde freundlicherweise vom „Revolutions-Blog Halle 1918/19“ der MLU Halle bereitgestellt (https://revolution1918.geschichte.uni-halle.de/ueber-das-projekt/).
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Koenen#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-11886-0010,_Berlin,_Au%C3%9Ferordentliche_Volkskammersitzung.jpg