Vorlesungen und Zeitungen fallen heute aufstandsbedingt aus
Im chaotischen Berlin können weder Vorlesungen gehört noch Zeitungen gelesen werden - der Aufstand tobt noch immer. Die Betroffenen - Studierende, Redakteure, Verleger - solidarisieren sich mit der Regierung. Man muss zu Ruhe und Ordnung zurückkehren. Diejenigen, welche sich gerade erst die Freiheit in der Universität endlich mitzubestimmen oder in der Zeitung ohne Zensur schreiben zu können, erkämpft haben, verteidigen diese nun auch gegen die drohende Räterepublik. Woher wir das wissen? Aus kleinen Regionalzeitungen, die eifrif überdie Zustände in Berlin berichteten.
Volltext:
Der Bürgerkrieg in Berlin.
Berlin, 9. Januar. Die Verhandlungen zwischen der Reichsregierung, dem Zentralrat und den revolutionären Obleuten sind nunmehr endgültig gescheitert.
Wie halbamtlich mitgeteilt wird, hatten die revolutionären Obleute dem Zentralrat einen Kompromissvorschlag unterbreitet wonach sie bereit seien, die besetzten bürgerlichen Zeitungen räumen zu lassen, dagegen sollte der „Vorwärts“ nicht herausgegeben werden. Die Regierung ging aber auf diesen Vorschlag, der einer Herausforderung allerdings recht ähnlich sieht, nicht ein. Damit waren die Verhandlungen endgültig gescheitert, und es entspricht nicht den Tatsachen, daß nach diesem Abbruch der Verhandlungen die Unabhängigen noch einen weiteren Vermittlungsvorschlag gemacht hätten. Falsch ist auch die Mitteilung, daß der Belagerungszustand über Berlin verhängt worden sei. Eine solche Maßnahme ist von keiner Seite ausgegangen.
Nach Fühlungnahme mit einem Regierungsvertreter berief der Studentenrat der Technischen Hochschule in Charlottenburg eine Versammlung ein, in der bekannt gegeben wurde, daß Herr Roste auf das Ersuchen der Studenten geantwortet habe: Die Regierung ist für ein energisches Vorgehen gegen alle Ruhestörer, um der Entente keinen Vorwand zu einem Einmarsch in Deutschland zu geben. Ich fordere daher die Studentenschaft zur tätigen Mithilfe auf und ersuche sie, sich unter meinen Schutz zu stellen. Gez. Roste. - Die Studentenversammlung beschloss daraufhin, daß sich die Studierenden der Regierung zur Verfügung stellen sollten. Der Direktor hat auf Wunsch die Vorlesungen und Übungen ausfallen lassen, und die Technische Hochschule wird gänzlich geschlossen werden.
Der Studentenrat erlässt einen Aufruf: Kommilitonen! Es geht um Eure Zukunft. Zeigt, daß die Studierenden ein mächtiger Faktor sind. Stellt Euch geschlossen hinter Eure Vertrauensleute, sorgt, daß Ruhe und Ordnung wiederkehrt. Meldet Euch alle zur Volkswehr.
Die Angestellten der großen Verlagshäuser von Ullstein, Rosse und Scherl haben in einer großen Versammlung beschlossen, den Betrieb der bei ihnen erscheinenden Zeitungen unter keinen Umständen wieder aufzunehmen, solange sie unter der Herrschaft von Spartakus stehen. Die Versammlung hob hervor, daß sie den von den Spartakisten aufgestellten Bedingungen nicht zustimmen können, die verlangt hätten, daß die Zeitungen unter verändertem Titel erscheinen und die Redaktionen von Spartakusleuten besetzt werden sollten. Die Vertrauensleute der Arbeiter und Angestellten und die Redakteure lehnten diese Bedingungen entrüstet ab. […]
Quelle:
Jenaer Volksblatt - Zeitung der Deutschen demokratischen Partei vom 11. Januar 1919, Nr. 8
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00258932/JVB_19190111_009_167758667_B1_001.tif