Warum Weimar? Warum nicht Jena?
In diesem Protokollausschnitt aus der Sitzung der Reichsregierung vom 14. Januar wurde eine Vorentscheidung zugunsten Weimars als Tagungsort der noch zu wählenden Nationalversammlung getroffen. Neben der Stadt Goethes und Schillers waren u.a. Bayreuth, Nürnberg, Jena und neben Frankfurt am Main natürlich auch Berlin im Gespräch. Das entscheidende Argument zuungunsten der Hauptstadt war nicht die Sicherheitslage, die in Weimar ebenfalls nicht rosig war, sondern neben den Räumlichkeiten insbesondere die Wirkung in Richtung der süddeutschen Länder und des Auslandes. Man wollte sich somit symbolisch vom preußischen Staat bzw. Militarismus abgrenzen.
Volltext:
Ebert eröffnet die Sitzung.
Geh. Oberregierungsrat Dr. Schulze berichtet über eine Reise, die zum Zwecke der Besichtigung der Räumlichkeiten usw. für die Unterbringung der Nationalversammlung nach verschiedenen Städten vorgenommen worden ist.
In Bayreuth sind die Verhältnisse nicht geeignet für die Unterbringung der Nationalversammlung; in Nürnberg wäre es mit den Unterkunftsverhältnissen vortrefflich. Dagegen ist es weniger gut in bezug auf die Sicherheit, da die dortigen Regimenter sehr unzuverlässig sind. In Jena ist das Volkshaus ein durchaus geeigneter Bau und auch einige gemeinnützige Anstalten würden ausreichende Unterkunft bieten; indessen würden dort die Arbeitsräume für die Regierung sehr knapp sein. Sehr angenehme Verhältnisse fanden sich in Weimar, jedoch wenig Entgegenkommen bei den örtlichen Behörden. Die Verwaltung wollte wegen etwaiger Unruhen und Gefahren das Risiko nicht übernehmen. Das Theater ist ein sehr moderner, freistehender Bau, das Parkett steigt terrassenförmig an und würde eine vorzügliche Verbindung zwischen Regierung und Parlament gestatten. Der erste Rang käme für die Abgeordneten, der zweite Rang für die Presse in Frage; der dritte Rang ist vollständig isoliert im Aufgang und könnte für das Publikum frei sein. Das Theater hat ein sehr schönes helles Foyer; außerdem sind mindestens zwanzig bis dreißig, ja wohl sogar an vierzig kleine Räume für Bürozwecke vorhanden. Die Jahresmiete beträgt 800.000 M[ark]; unter Hinzurechnung für Feuerung würde sich die Miete auf 1 Millionen Mark erhöhen, falls das Theater für ein ganzes Jahr mit Beschlag belegt werden müsste. Über die Unterkunftsräume sprach sich der Oberhofmarschall Freiherr von Fritsch dahin aus, daß das Schloß zweifellos wohl mindestens ein Dutzend eingerichtete Appartements hat, so daß die Räume für Wohn- und Schlafräume der Volksbeauftragten hergerichtet werden könnten. Das Oberhofmarschallamt bat nur, die Dichterräume und die großherzogliche Wohnung unbelegt zu lassen. Außerdem sind im Landgericht mindestens 40 bis 50 Räume, die sich als Büroräume eignen und in denen die Fraktionen ihre Sitzungen abhalten könnten; in unmittelbarer Umgebung sind ferner 6 bis 7 größere Säle. Die Hotels müssten für den Aufenthalt von Fremden, die sich aber nur vorübergehend in Weimar aufhalten, freigelassen werden, so daß in erster Linie Bürgerquartiere in Betracht kämen. Der Oberbürgermeister [Martin Donnhoff – parteilos, Anm.] hat mit einem heiteren und einem nassen Auge gesagt, bei einem entsprechenden Aufruf würden sich sehr viele Bürger finden, die Mitglieder der Regierung und des Parlaments gegen eine angemessene Entschädigung aufnehmen würden. Außerdem liegen Apolda, Jena und andere Orte in der Nähe, mit denen sich leicht ein Pendelverkehr herstellen ließe, und man würde dort nicht weiter von dem Parlamentsgebäude entfernt sein wie etwa hier in Berlin bei den Vororten. Der Oberbürgermeister hat sich trotz seiner Bedenken bereit erklärt, in vollem Umfange dafür zu sorgen, daß eine Unterbringung der Nationalversammlung in Weimar ermöglicht würde, äußerte aber den Wunsch, bevor die Wahl Weimars bekannt würde, die notwendigen militärischen und polizeilichen Maßnahmen zu treffen, damit sich nicht auf die positive Nachricht hin bolschewistische und spartakistische Elemente dort einnisten. Das Theater in Weimar ist der bestgeeignete Raum für die Nationalversammlung, da dort die Sitze fest angebracht sind, was im Volkshause nicht der Fall ist, wodurch das ewige Schurren und Hin- und Herbewegen der Stühle dauernd Geräusch entstehen lassen würde. Die Nebenräume im Weimarer Theater sind vorzüglich.
Quelle:
Miller, Susanne / Potthoff, Heinrich (Bear.): Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 6/II, Düsseldorf 1969, S. 223f.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Nationalversammlung#/media/File:Offizielle_Postkarte_Weimarer_Nationalkversammlung.jpg