Koloniengeschacher
Durch den Versailler Vertrag verliert Deutschland alle Kolonien. Als Kriegsbeute werden die Länder und ihre Bewohner unter den Siegern aufgeteilt. Doch nicht alle Mitglieder der Entente gehen mit gleich hohem Gewinn aus dem Geschacher hervor. Belgien gewinnt zwar Kolonien von Deutschland, aber muss an anderer Stelle Länder an England abgeben. Die DAZ ist empört. Wie kann man "unsere" Schwarzen an die brutalen Belgier ausliefern? Die Empörung ist zwar scheinheilig, da auch die deutschen Kolonialherren keine Friedensengel waren, aber Belgien ist als Kolonialmacht tatsächlich besonders berüchtigt.
Deutsch-Ostafrika - das heutige Tansania, Burundi und Ruanda - wurde 1884 von der privat geleiteten Gesellschaft für Deutsche Kolonisation gegründet, der Carl Peters vorsaß.
Volltext:
Von zuständiger Seite wird uns zu der heutigen Notiz von der Aufteilung Deutsch-Ostafrikas geschrieben.
Englands Ländergeschäft blüht: Der gigantische Plan des britischen Imperialismus, der in das volkstümliche Schlagwort Kap-Kairo zusammengefaßt war, ist restlos verwirklicht: Die Osthälfte Afrikas ist britisch. Die eingesprengten italienischen und französischen Besitzungen am Osthorn des Erdteils sowie das zur Zeit noch unabhängige "Kaiserreich" Abessinien sind nur geringfügige Schönheitsfehler in dem einheitlichen Gesamtbild, und die größere portugiesische Kolonie Mozambique ist bekantlich schon längst ein britisches Ausbeutungsobjekt.
Aergerlich aber wäre es jedem englischen Auge gewesen, wäre auf der neuen Karte von Afrika der störende Zipfel stehen geblieben, mit dem die belgische Kongo-Kolonie tief in das britische Rhodesien hineinschneidet. Dieses Gebiet mußte englisch werden, das verstand sich für die Engländer schon deshalb von selbst weil es der wertvolle Teil des Kongo ist: das berühmte Erzgebiet von Katanga. Man wird nicht fehl gehen in der Annahme, daß es hauptsächlich dieses Gebiet ist, das Belgien an England abzutreten hat. Bedenkt man, daß der ganze Kongo etwa 18 Millionen, ganz Kamerun nur etwa 4 Millionen Eingeborene zählt und daß gerade das Katanga-Gebiet als besonders dünn bevölkert gilt, so kann man sich vorstellen, wie großzügig im Abrunden sich England hier erwiesen hat; denn es verlautet, daß bei dieser Länderverschiebung 3 Millionen Eingeborene aus belgischer in englische Hand übergehen.
Natürlich soll Belgien dafür, daß es den Engländern recht und schlecht gegen uns in Ostafrika geholfen hat, nicht nur mit der Ehre, ihnen ihr bestes Stück Kolonialland schenken zu dürfen , bezahlt werden - es soll auch noch mit einem Stück der gemeinsamen ostafrikanischen Beute abgefunden werden. Vermutlich handelt es sich hierbei um die nicht sehr umfangreichen, aber dicht bevölkerten Landschaften Urundi und Ruanda im Nordwesten des Schutzgebiets. Dasselbe England, das vor ein paar Jahren die ganze Welt mit seinem Zetergeschrei über die belgischen Kongogreuel erfüllt hat, überantwortet jetzt unbedenklich einige Millionen unserer wohlhabendsten und intelligentesten Eingeborenen der berüchtigten Kongoverwaltung - nur weil es die Erzgruben von Katanga haben will.
Oder haben das die Eingeborenen vielleicht so gewünscht? Im Gegenteil. Englisch wollten die Stämme Deutsch-Ostafrikas nicht werden, das hat selbst die britische amtliche Berichtserstattung zugegeben, so überwältigend waren die Beweise rührender Treue und Anhänglichkeit der schwarzen Bevölkerung an uns. Aber belgisch werden sie noch viel weniger gern. Ein Schrei der Angst und ohnmächtiger Wut wird durch die Völker der Nordestecke Deutschostafrikas gehen, wenn ihnen bekannt wird, welches Schicksal ihre "Befreier vom deutschen Sklavenjoch" über sie verhängt haben. Die Belgier haben diese herrlichen viehreichen Landschaften schon während des Krieges provisorisch verwaltet. Sie haben ihre liebe Not damit gehabt. Die Eingeborenen, die unzufrieden mit der belgischen Herrschaft waren und die Deutschen zurücksehnten, haben sich wiederholt gegen ihre belgischen "Erlöser" erhoben - so wie es in anderen Teilen Deutsch-Ostafrikas gegen die britischen "Beglücker" geschehen ist. Als dagegen zu Beginn des Krieges die belgische Grenzinsel Idschwi im Kiwusee von der deutschen Schutztruppe erobert wurde, da brauste ein unbeschreiblicher Jubelsturm durch die ganze Insel; von allen Bergen, in allen Tälern und Buchtetn erschallten nicht endende Freudentriller: endlich, endlich hatte die belgische Qual ein Ende!
Gegen den ausdrücklichen Willen der Völker, im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit zeichnet man in Versailles die neue Karte von Afrika! Länder und Völker werden dort genau wie in Europa vertauscht und verschoben, als ob die Welt niemals den Sirenenklängen der Wilsonschen Harfe gelauscht hätte. Und der Völkerbund wird zu allem seinen Segen geben, denn das ideale Ziel dieses Völkerbundes, Englands Gedeihen, wird ja erreicht. ...
Quelle:
DAZ Nr. 344 vom 20.7.1919
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-07-20/2807323X/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Peters#/media/Datei:Carl_Peters.jpg