Monarchisten in der Nationalversammlung
Clemens von Delbrück konnte 1919 auf eine lange und erfolgreiche Karriere in der deutschen Politik zurückblicken. Oberbürgermeister, Abgeordneter, Minister und Vizekanzler. Alles Ämter, die er natürlich im Kaiserreich ausübte. In der Weimarer Nationalversammlung rief er als Redner der DNVP die guten alten Zeiten ins Gedächtnis. Als Monarchisten haben Delbrück und seine Freunde dementsprechend keine positive Meinung über das Prinzip der Volkssouveräntität.
Volltext:
Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung und die Mehrheitsparteien haben es für notwendig erachtet, den Verfassungsentwurf alsbald zu verabschieden. Ich will die Gründe, die sie hierzu bestimmt haben, nicht erörtern. Der Umstand, daß der Herr Abgeordnete Dr. Cohn [USPD, Anm.] die Entscheidung über die Verfassung hinauszuschieben wünscht, kann für meine politischen Freunde und mich nur ein Grund sein, die Bestrebungen der Regierung nach einer alsbaldigen Verabschiedung der Verfassung zu unterstützen.
(Beifall.)
So müssen wir uns dann auch den Beschränkungen in bezug auf die Redefreiheit fügen, die die Konsequenz dieses beschleunigten Verfahrens sind. Aber wir bedauern es, daß nicht wenigstens die Möglichkeit gegeben ist, über den Artikel 1 der Verfassung auf etwas breiterer Basis zu debattieren, als es nach den Beschlüssen des Seniorenkonvents wohl der Fall sein kann.
(Zuruf von den Sozialdemokraten.)
[…]
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich können an diesem Artikel nicht stumm vorübergehen. Wir können uns nicht darauf beschränken, ihn abzulehnen, sondern wir sind es uns und unseren Freunden im Lande schuldig, dazu ein kurzes Wort zu sprechen. Ich bin auch der Meinung, daß die Bedeutung dieses Artikels zu groß ist, als daß man stillschweigend auch in der zweiten Lesung an ihm vorübergehen könnte.
(Sehr richtig! rechts.)
Die beiden Sätze:
Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. –
bedeuten eine Umwälzung unserer Verhältnisse von Grund aus. Sie bedeuten vielleicht für Sie etwas Selbstverständliches
(sehr wahr! links)
und etwas Erwünschtes.
(Erneute Zustimmung links.)
Für uns bedeuten sie etwas anderes,
(sehr wahr! rechts)
für uns bedeuten sie den Abschied von einer großen Vergangenheit,
(lebhafte Zustimmung rechts)
den Abschied von Einrichtungen, die Deutschland auf ein hohes Maß von Macht, Kultur und Ansehen geführt haben.
(Sehr richtig! rechts. – Zuruf von den Deutschen Demokraten: Weltkrieg!)
– Auf den Weltkrieg komme ich nachher. –
Daß wir unter diesen Umständen nicht leichten Herzens an diesem Artikel vorübergehen können, das liegt wohl auf der Hand. Und was das für uns bedeutet, das erhellt, wenn Sie dazu den Art. 170 nehmen, in dem es heißt: „Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 ist aufgehoben.“ Das bedeutet für uns nicht mehr und nicht weniger als den Abschied von der Verfassung und dem Reiche Bismarcks,
(sehr richtig! rechts)
dem Reiche Bismarcks, von dem der Herr Abgeordnete Cohn mit Unrecht behauptet hat, daß es eine zufällige Erscheinung, eine zufällige Staatenbildung gewesen wäre.
(Zurufe bei den Deutschen Demokraten: Verirrung!)
Das Deutsche Reich Bismarcks ist weder eine Verirrung, noch eine Zufälligkeit gewesen, sondern es ist ein Glied in der Kette der schwierigen Entwicklung der innenpolitischen Verhältnisse Deutschlands gewesen und ein Glied von einer Bedeutung und von einer Leistungsfähigkeit, die die Geschichte stets in vollem Maß anerkannt hat und anerkennen wird.
(Zustimmung rechts.)
Der Art. 1 bedeutet den Übergang zum parlamentarisch regierten Volksstaat, und es erhebt sich für meine Freunde und mich die Frage, ob wir diesem Artikel zustimmen, ob wir damit auch für unsere Person das Siegel unter diese gewaltige Umwälzung der staatsrechtlichen Verhältnisse Deutschlands drücken wollen oder nicht.
Meine Damen und Herren! Diese Frage müssen wir verneinen,
(Zustimmung rechts)
und zwar müssen wir sie verneinen aus verschiedenen Gründen. Wir müssen sie zunächst verneinen mit Rücksicht auf unsere monarchischen Grundsätze.
(Bravo! rechts.)
Wir sind heute noch grundsätzlich Anhänger der Monarchie.
(Beifall rechts.)
Wir sind heute noch der Meinung, die ich schon bei der ersten Lesung auszusprechen die Ehre hatte, daß, wenn schon ein Wechsel der Staatsform eintreten müßte, die demokratische Monarchie, wie sie sich im vorigen Oktober bei uns entwickelt hatte oder zu entwickeln im Begriff stand, für die deutschen Verhältnisse eine viel zweckmäßigere und nützlichere Einrichtung gewesen wäre als diese radikale Republik, unter deren Herrschaft – ich will nicht mehr sagen – wir jetzt leben.
(Sehr richtig! rechts.)
Von dieser Auffassung können wir nicht abgehen. Im Gegenteil, die Erfahrungen der letzten Wochen und der letzten Monate haben uns in dieser Auffassung bestärkt.
(Zustimmung rechts.)
Aber wir sind mit vollem Bewußtsein auch Realpolitiker. Wir wissen, daß diese Republik eine Tatsache ist, an der wir nicht vorbeikommen können, und wir sind entschlossen, auf dem Boden der geschaffenen Tatsachen politisch mitzuarbeiten zum Wohle unseres Vaterlandes. Wir sind entschlossen, unsererseits eine Politik der Aktivität zu treiben, die uns den Weg zur Macht wieder eröffnet.
[…]
Quelle:
Stenographische Berichte der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 44. Sitzung vom 2. Juli 1919.
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000011_00486.html
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Clemens_von_Delbr%C3%BCck#/media/Datei:Delbrück,_Clemens_von_(1856-1921).jpg