Starkes Preußen = starkes Reich?
Der Föderalismus ist ein umstrittenes Thema in der Nationalversammlung. Preußen allein verfügt über 3/5 der gesamten Bevölkerung des Reiches. Einen Ausgleich zwischen diesem Riesen und den kleinerenLändern zu schaffen ist eine Herausforderung. Die Verfassung sieht die Möglichkeit vor, die Ländergrenzen durch eine Volksabstimmung zu verändern. Länder neu zu gründen oder Teilgebiete an einen größeres Land anzugliedern. Der preußische Innenminister Wolfgang Heine (SPD) verteidigt die bestehende Ländergliederung und will - anders als Teile seiner eigenen Partei - keine Aufteilung Preußens.
Volltext:
Meine Damen und Herren! [...] Preußen ist weit entfernt von jedem preußischen Partikularismus. Die preußische Regierung versteht auch die Gründe, die leider zu einer gewissen Abneigung gegen Preußen in den anderen Bundesstaaten und, was viel schlimmer ist, in einem Teile der preußischen Bevölkerung selber geführt haben. Das Preußen aber, das wir aufbauen wollen, und bei dessen Aufbau wir mit ernster Arbeit begriffen sind, ist nicht das alte Preußen, gegen das sich berechtigte Klagen in dieser oder jener Richtung wenden konnten.
(Zurufe links. - Unruhe.)
Preußen hat in allen diesen Verhandlungen sich niemals geweigert, die Reichsidee über die preußische zu stellen. Wenn Preußen sich stark erhalten will, wenn es seine innere Form, die Umbildung seiner Verwaltung alsbald energisch in die Hände genommen hat, so tut es dies, weil es sich stark und kräftig machen will für die Aufgaben des Deutschen Reiches.
Das Wort "Unitarismus" gehört zu den am häufigsten gebrauchten Worten dieser Tage. Es gehört zu den Worten, von denen der Mensch glaubt, es müsse sich dabei etwas denken lassen,
(Heiterkeit; sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten)
und unter denen sich deshalb jeder etwas anderes zu denken pflegt. Ein Unitarismus aber, der damit anfangen wollte, daß er zunächst einmal die Kräfte der Einheit, die vorhanden sind, im Reiche zerstückelte, hätte überhaupt nicht den Anspruch, daß man ihm ein Denken zuerkennt. Eine solche Sorte Unitarismus wäre vollkommene Gedankenlosigkeit.
Worin besteht denn die Einheit des Deutschen Reiches, die wir schaffen wollen? Doch nicht darin, daß man sagt: jetzt gibt es kein Preußen mehr! - und vielleicht auch noch hhinzufügt: jetzt gibt es kein Bayern, kein Hessen mehr! In dieser Negative kann die Einheit des Reiches niemals bestehen; sie kann nur in dem Positiven bestehen, daß die Arbeit, die Organisation, die Verwaltungstätigkeit, die Anwendung der Gesetze möglichst einheitlich sind, daß die einander angenähert werden. Wenn man den größten einheitlichen Körper der Gesetzgebung, der Verwaltung, der Organisation zunächst zerschlägt, und aus ihm selbstständige Staatchen macht, so ist das Ergebnis, daß diese Einheitlichkeit der Verwaltung nicht vorwärts, sondern rückwärts geht.
(Sehr richtig! rechts.)
Die Tatsache der Einheit besteht in dem großen einheitlichen Körper Preußens, Bayerns und der andern mittleren Staaten.
(Zuruf von den Sozialdemokraten: Deutschland!)
- Bis jetzt besteht sie daraus! Das ist eine Tatsache, die als reale Tatsache mit hinübergenommen werden muß in das Leben des Reiches.
(Zuruf von den Sozialdemokraten.)
- Ich bitte, Herr Kollege Dr. Quarck, Sie scheinen mich nicht zu verstehen, wenn ich sage: die realen Tatsachen sind die, mit denen wir zu arbeiten haben! Wollen wir ein neues einheitliches Deutschland haben, dann können wir es doch nur so machen, daß wir die Verwaltungskörper, die Arbeitsorganisation, die da sind, miteinander verbinden, aber nicht, daß wir sie zunächst zerstören und dann rein theoretisch uns neue ausdenken.
(Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)
Kein vernünftiger Politiker wird so praktizieren wollen. Darum, wenn heute das Reich erklärte, es solle nur eine Reichsverwaltung geben, - ich wäre sehr einverstanden. Was könnte dann aber anderes geschehen, als daß die preußischen Verwaltungskörper von diesem Tage ab Reichsverwaltungskörper hießen? Arbeiten müßten sie genau so, wie sie vorher gearbeitet haben. Darum ist dieses Wort "Unitarismus", sobald es verbunden ist mit dem Gedanken einer Zerstückelung statt einer Verbindung, Unsinn; es wird aber Leben, wo es darauf hingeht, daß man die Verwaltungsarbeit vereinheitlichen will. Was Preußen dazu tun kann, das tut es schon heute.
Preußen ist keineswegs abgeneigt, wo es zum Zweck einer Vereinheitlichung der Arbeit notwendig und wünschenswert ist, auch preußische Gebietsteile dazu herzugeben. Wir wissen, daß die Größe eines Staates nicht darauf beruht, ob er ein paar Quadratmeilen mehr oder weniger hat, sondern auf der Särke seines Geistes und seiner Arbeitsfähigkeit. Wir haben uns schon bereit erklärt, dem Freistaat Hamburg behilflich zu sein bei seinen berechtigten Wünschen auf Ausdehnung für seinen Handel, für seine Besiedlung usw.; wir stehen auch bereits mit den thüringischen Staaten in Verhandlung und sind durchaus geneigt, ihren berechtigten Wünschen entgegenzukommen. Aber selbstverständlich ist auf allen Gebieten, daß die Staaten, denen wir mit Gebiet helfen, auch dem Wunsche nach Vereinheitlichung der Verwaltung und nach Gemeinsamkeit der Arbeit entgegenkommen,
(sehr richtig! bei den Sozialdemokraten)
daß nun nicht wieder ein neuer, um so stärkerer Staat gebildet würde, der mit preußischem Gebiet jetzt der gemeinsamen Arbeit neue Kräfte entgegensetzen könnte, sondern daß wir uns von vornherein einigen, in demselben Geist, nach derselben Organisation zu arbeiten.
Auf diese Art werden wir ganz natürlich im Wege einer gesunden Entwicklung zu einem einheitlichen deutschen Verwaltungs- und Arbeitskörper gelangen. So etwas macht man nicht von oben her, vom grünen Tisch, sondern das soll von unten her aus den Bedürfnissen der einzelnen Gebiete naturgemäß herauswachsen.
(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Das ist die Art, wie man deutsche Einheit schafft. [...]
Quelle:
Stenographische Berichte der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 63. Sitzung vom 22. Juli 1919
In: https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000012_00356.html
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Heine#/media/Datei:WP_Heine_Wolfgang.jpg