Beendet das Morden!
Das Hauptorgan der USPD kommentiert die Ablehnung einer Verfassungänderung bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe. Die beiden sozialdemokratischen Parteien wären auf die Zustimmung der linksliberalen Demokraten angewiesen, um diese wesentliche Reform der Justizpraxis einzuführen. Das Blatt beklagt die Machtlosigkeit der Sozialdemokratie in dieser Sache. Wäre die USPD im Dezember 1918 allerdings nicht aus der Regierung ausgetreten, so hätte sie sich möglicherweise größeren Einfluss nicht nur in dieser Frage gesichert.
Volltext:
Die Abschaffung der Todesstrafe abgelehnt
Im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung brachten Dienstag die rechtssozialistischen Abgeordneten Dr. Quarck und Katzenstein einen Antrag ein, daß der Verfassung folgender neuer Artikel eingefügt werde: Die Todesstrafe ist abgeschafft. Nachdem sich das Zentrum und die Vertreter überhaupt gegen die Abschaffung ausgesprochen, und die demokratischen Ausschußmitglieder Haußmann und Dr. Ablaß erklärt hatten, sie seien zwar für Abschaffung der Todesstrafe, zurzeit sei aber eine Entscheidung noch nicht möglich, wurde der Antrag abgelehnt.
Die Todesstrafe, dieses entsetzliche Rüstzeug einer längst vergangenen barbarischen Epoche, bleibt also im „neuen“ Deutschland bestehen. Das furchtbare Morden der Kriegsjahre, die entsetzlichen Bluturteile der letzten Wochen haben es nicht vermocht, das Gefühl für die Heiligkeit des Menschenlebens zu erwecken. Wir ersticken im Blutrausch. Doch das scheint denen, die jetzt die Macht haben, nur gerade recht so zu sein. Die widerlichste Brutalität liegt aber in den Erklärungen der Demokraten, sie seien zwar prinzipiell für die Abschaffung der Todesstrafe, doch nur nicht in diesem Augenblick! Deutlicher kann das Bestreben, die Todesstrafe als Mittel zu benutzen, um sich in der Macht zu erhalten, wohl nicht ausgedrückt werden.
Wie viele andere Anträge der Sozialdemokraten, über grundsätzliche Frage, so ist auch dieser von der geschlossenen Mehrheit der bürgerlichen Parteien zu Fall gebracht worden. So zeigt sich immer wieder von neuem, daß der rechtssozialistisch-bürgerliche Blick stets auseinanderfällt, sobald es sich um die Erfüllung alter demokratischer und sozialistischer Forderungen handelt.
Quelle:
Die Freiheit vom 18. Juni 1919, 2:283 (1919), Abend-Ausgabe, S. 2.