Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Das Bürgertum driftet nach rechts

Die Haltung zum Friedensvertrag spaltet Deutschland und auch die Regierungskoalition. Die linksliberale DDP verlässt aus Protest über die Aussicht der Unterzeichnung das Kabinett. Allein der Fraktionsvorsitzende Friedrich von Payer ist bereit die Unterzeichnung politisch mitzutragen. Der Rest der Fraktion ist anderer Ansicht und fürchtet offenbar, dass die bürgerlich-protestantischen DDP-Wähler nach rechts zu DVP oder gar DNVP abwandern könnten. Diese Parteien hatten sich einstimmig gegen den Versailler Vertrag ausgesprochen.

Volltext:

Erklärung der Rechtsparteien.

Die Fraktionen der Deutsch-Nationalen Volkspartei und der Deutschen Volkspartei haben folgende Erklärung erlassen:

In der Stunde der höchsten nationalen Gefahr haben die außerhalb der Regierung stehenden bürgerlichen Fraktionen, die Deutschnationale und die Deutsche Volkspartei, beschlossen, Nachstehendes gemeinsam zu bekunden: Alle Folgen der Ablehnung des jetzt vorliegenden Friedensvorschlages haben wir uns mit voller Verantwortlichkeit klar gemacht. Wir sind der einmütigen Ueberzeugung, daß sie trotz ihrer Schwere unvergleichlich geringer einzuschätzen sind, als die dauernde Versklavung Deutschlands, der wir sonst anheimfallen. Die Annahme dieses Friedensvorschlages bedeutet eine nationale Schmach, wir verlieren dadurch noch unsere letzten Freunde in der Welt. Einem zerstückelten Deutschland droht der wirtschaftliche, finanzielle, politische und moralische Tod! Es stehen vor der Wahl: die ungeheure Lüge von Deutschlands Schuld durch unsere Unterschrift zu bekräftigen oder Deutschlands Ehre zu wahren, die besonders durch die Forderung in den Staub gezogen wird, den Deutschen Kaiser und andere deutsche Männer vor ein nichtdeutsches Gericht zu stellen. Um unsere toten Brüder und um der Zukunft unserer deutschen Jugend willen sind wir entschlossen, unser letztes Gut bis zum äußersten zu wahren Deutschlands reinen Namen vor der Welt. Darum lehnen wir diesen Friedensentwurf ab.

Die Fraktion der Deutschnationalen Volkspartei. v. Posadowsky.

Die Fraktion der Deutschen Volkspartei. Dr. Heinze.

*          *          *

Rücktritt Payers vom Fraktionsvorsitz.

[…]

Die Fraktion hält den uns angebotenen Gewaltfrieden für das größte Unglück, das unser Vaterland treffen konnte. Sie ist überzeugt, daß ein besserer Friede erreicht werden konnte, wenn die Regierung das Unannehmbar den Feinden gegenüber mit innerer Geschlossenheit und folgerichtig vertreten hätte. Wir fühlen das furchtbar Schwere der Entscheidung. Dieser Friede ist nach der einmütigen Überzeugung der Fraktion unerträglich und unerfüllbar. Er ist und bleibt nach der Ansicht ihrer übergroßen Mehrheit unannehmbar. Deswegen scheiden wir aus der Regierung aus, und es kann bei dieser Sachlage kein Mitglied dieser Fraktion in die neue Regierung eintreten. Die bisherige Koalition hat ihre dringendsten Aufgaben erfüllt, sie hat in den gefahrvollsten Monaten nach dem Zusammenbruch der Regierung wie der Volksvertretung deshalb erst die Arbeitsmöglichkeiten im Innern und die Verhandlungsfreiheit nach außen gegeben. Sie hat das Verfassungswerk bis zum sicheren Abschluß gefördert. Sie hat die Mittel zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern geschaffen. Die weiteren Aufgaben, die sich die bisherige Regierungsmehrheit gestellt hatte, werden wir fördern. Zur Mitarbeit im Rahmen unserer Grundsätze sind wir auch in Zukunft bereit. Opposition schlechthin liegt uns fern. Der Aufbau des neuen Deutschlands muß durch diesen Frieden außerordentlich erschwert werden. Ihm soll unsere ganze Kraft gehören. Nach wie vor sehen wir die einzige Grundlage für die Wiederherstellung Deutschlands in einer Demokratisierung, deren sozialer Geist allen Volksangehörigen das Bewußtsein der Gleichheit und Zusammengehörigkeit zu geben vermag. In diesem Geist erstreben wir vor allem die Neubildung der nationalen Würde und Geltung, die politische und soziale Gleichberechtigung, den Wiederaufbau unserer Wirtschaft, die Demokratisierung des Arbeitsverhältnisses.

Friedrich von Payer

Quelle:

Vossische Zeitung vom 21.06.1919 (M) und vom 22.06.1919.

In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-06-21/27112366/

http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/date/1919-06-22/27112366/

 

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Payer#/media/File:PayerFriedrichvon.jpg

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
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(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)