Keine Ruhe, wäre auch schlimm!
Mann vereinbart einen Porträt-Termin und plant künftige Artikel. Er ist beunruhigt über die aktuelle politische Lage, was nur normal erscheint. Zur Ablenkung beschäftigt er sich mit Nietzsche. Abends dann besucht er ein Theaterspiel, in dem auch seine Tochter Erika auftritt. Sie wird später professionelle Schauspielerin und Kabarettistin.
Volltext:
Mittwoch den 25. VI. (Nachm.)
Kühl, etwas Regen und Donner. Schrieb an der Szene zwischen den Vettern auf der Bank mit einigem Vergnügen weiter. Ging mittags nur kurz aus. Preetorius telephonierte, Hirts Luxus presse habe Verlangen nach dem »Gesang«. Auch will er für die Bauschan-Illustrationen mein Profil zeichnen. Er kommt Sonnabend. - Martens verlangt etwas »Tröstendes u. Auf richtendes« für die Nachrichten über den Frieden. Korrodi etwas über G. Keller zum 100. Geburtstag für die N. Zürcher Z. Keine Ruhe. Und doch wär es wohl schlimm, wenn es anders wäre. – Versicherungen der franz. Sozialisten, daß nun ihre Thätigkeit beginne. Die Franzosen waren im Voraus gegen Frankfurt vorgerückt. Auch Kanonenboote lagen auf dem Main bereit, um die Stadt anzugreifen. – Fuhr nach Tische mit dem »Untergang des Abendlandes« fort, höchst gefesselt. Aber auf Schritt und Tritt macht sich mir das widersprechende Verhältnis zu Nietzsche auffällig. Auch täuscht er sich über seine kolossal-wissenschaftliche Objektivität. Die große Einleitung mit der Bestimmung von Kultur u. Civilisation verrät deutlich seine Tendenz, - die derjenigen der »Betrachtungen« durchaus verwandt ist. - - (Abends) Nach dem Abendessen zu Hall gartens, wo die Kinder, von einem Theaterfriseur geschminkt und maskiert, vor einem Publikum, das aus Walters und den Damen Marcks und Pfitzner bestand, den Einakter »Schneider Fips« von Kotzebue sehr drollig aufführten. Erika hübsch, schon durchaus weiblich und stimmlich angenehm. Eissi als Liebhaber mit Schnurrbärtchen gewinnend. Nachher Geselligkeit, Erfrischungen u. Gespräch. Frau Pfitzner erzählte, daß ihr Mann an einem romantisch-politischen Buch arbeitet.
Quelle:
de Mendelssohn, Peter (Hrsg.), Thomas Mann. Tagebücher 1918-1921, Frankfurt am Main 1979, S. 273 f.
Bild:
https://fr.wikipedia.org/wiki/Thomas_Mann#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-S86717,_Thomas_Mann_in_Weimar.jpg