Zu Preußen oder Polen?
Im Zuge des Versailler Vertrags, musste das deutsche Reich einige Gebiete an Polen abgeben, das die Unabhängigkeit zurückerlangt. Auch die Ostpreußen fürchteten die Angliederung an Polen, blieben aber schließlich deutsche Enklave hinter „polnischem Korridor“. Dass die Aussichten der deutschen Bevölkerung in Ostpreußen, vielleicht bald polnisch sein zu müssen, nicht freudig aufgenommen wurde, kann man aus diesem Beitrag herauslesen. Verwendet wurden dabei Gegenüberstellungen, was im Deutschen Reich alles besser sei als in Polen.
Volltext:
1. An die Arbeiter. Aus Polen sind seit 50 Jahren Tausende polnischer Arbeiter, von Not getrieben, über die preußische Grenze gekommen, um hier im Sommer Brot und Lohn zu finden. Die werden in Strömen wiederkommen, aber nicht als eure Arbeitsgenossen, sondern als Vertreter der herrschenden Polennation und euch die Arbeit nehmen. Und ihr? – Unterarbeiter, Kulis für polnischen Hungerlohn werdet ihr werden.
2. An die Bauern. Eure Wirtschaft war bisher deutsch, sauber, fein. Das hat bald aufgehört. Ihr werdet polnische Erbuntertanen. Ihr kennt polnische Bauernwirtschaft: Lodderei, Kodderei [d.i. Vernachlässigung, Anm.]. Eure künftigen Herren, die Schlochzize, werden verstehen, sich in den Besitz eures schönen Hofes zu setzen. Und dann? –
3. An die Beamten, Lehrer, Geistlichen. Solange Ermland zu Polen gehörte, galt das strenge Gesetz: Kein Deutscher durfte dort länger als ein Jahr weilen. Dann kam die Ausweisung der „Ausländer“. Werdet ihr als verhaßte Preußen länger als ein Jahr geduldet werden? Seid ihr evangelisch, das ist ganz schlimm! Den Generalintendenten Blau und andere Geistliche in Posen setzen sie gefangen. Die Tragödie von Thorn 1724 ist bekannt. Die Polen nahmen den Evangelischen alle Kirchen und enthaupteten den Bürgermeister Rösner und neun evangelische Ratsherren.
4. An die Kriegsbeschädigten. Invalidenpensionen kennen die Polen nicht, und für deutsche Krieger, die zur Erlösung Polens vom Moskowiterjoch ihr Blut vergossen haben, gibt es nur den polnischen Dank: „niema nie!“ Was soll aus euch werden?
5. An die Kriegs-Witwen und -Waisen. Ihr habt bisher am Ersten jeden Monats im voraus euer Witwen- und Waisengeld bekommen. Und unter polnischer Herrschaft? – Polnische Kassen kennen das nicht. Was wird dann sein? – Tränen: euer Salz und polnische Flüche: eure Speise.
6.An die Unfallversicherten und Kranken. Was wird aus euch werden, die ihr durch Unglück ein Glied verloren habt? Wo sollen die Kranken bleiben, wenn ein schweres Leiden die Arbeit verhindert? In Polen ist nichts zu holen, am wenigsten Geld aus Unfall- und Krankenkassen, die es dort nicht gibt.
7. An die Invaliden-Rentner. Ihr bekommt jetzt nach schwerer Lebensarbeit auf eure alten Tage eure Renten. In Polen kennt man keine Versorgung hinfälliger Arbeiter. In Polen wimmelt es von Bettlern. Und ihr sollt dort auch betteln? Mit zitternden Beinen betteln gehen? Wie bitter würde uns das Bettelbrot vor polnischen Türen schmecken.
8. An die Schwachen und Lauen. Wer schwachen Geistes ist, denkt: „Mir ist gleich, ob Preuße oder Pole. Waren meine Vorfahren treue Preußen, so stimme ich für Polen, denn für diese Abstimmung geben mit die Polen Schnaps, Geld, Kuß und sagen: „Bratsche“! Ja, wie war’s doch bei Judas? – Geld, Kuß und dann – Strick! –
9. An alle. Wir sind gewohnt, bei preußischen Gerichten Recht und Gerechtigkeit zu finden. Können die verhaßten Preußen auch bei polnischen Gerichten auf Recht und Gerechtigkeit hoffen? –
Ostpreußische Landsleute, gemeinsame Not zwingt uns alle zusammenzuhalten! Wer in Bedrängnis ist, wer Rat und Hilfe sucht, wende sich an den
Zentralausschuß für den ostdeutschen Heimatdienst
Landesverband Ostpreußen, Königsberg, Schloß
Oder an seine Vertrauensleute in der Provinz.
Quelle:
Die Königsberger Hartungsche Zeitung vom 15 Juni 1919, Nr. 275 (1919), Morgenausgabe, S. 1.