Aufruf der Reichsregierung: Für Demokratie! Gegen Bürgerkrieg!
Die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung sah die Arbeit an der Verfassung gefährdet. Zum einen durch innenpolitische Unruhen, zum anderen durch außenpolitischen Klärungsbedarf. In einer u.a. im Vorwärts verbreiteten Erklärung wollte sie einen starken und entschlossenen Eindruck hinterlassen und gleichzeitig das Volk auffordern für Demokratie und sozialistische Wirtschaftsreformen zu arbeiten.
Volltext:
Weimar, 1. März. Das Reichsministerium gibt bekannt:
Während Nationalversammlung und Reichsregierung in voller Erkenntnis und Würdigung der ihr vom freien deutschen Volk übertragenen großen Aufgabe am demokratischen Fundament der Republik arbeitet, droht wirtschaftliche und politische Anarchie das Reich zu zerstören. Terroristische Elemente wollen die aus dem freiesten Wahlrecht hervorgegangene Nationalversammlung beseitigen. Jedes Mittel dazu ist ihnen recht. Sie streben danach, Weimar vom übrigen Deutschland abzusperren und dadurch Reichsregierung und Nationalversammlung gleichermaßen machtlos zu machen.
Demgegenüber erklären wir:
Nichts darf den Abschluß der Verfassung aufhalten.
Die Arbeit der Nationalversammlung an der Ueberwindung politischer und wirtschaftlicher Nöte darf nicht gehindert werden. Sie soll und den Frieden mit aller Geschlossenheit sicherstellen.
Verleumdung gefährlicher Art ist es, wenn die gewalttätigen Schürer des Aufruhrs behaupten, Nationalversammlung und Reichsregierung hätten sich den Aufgaben der Stunde entzogen, den Vorgängen im Reich kein Gehör geschenkt oder wollten gar die Arbeiterschaft um die Früchte der Revolution bringen.
Wir stehen und fallen mit den Grundsätzen der Demokratie. Hier gibt es für uns ein kein Taktieren. Die politische Macht gehört allein der freigewählten Vertretung des Volkes und der von ihrem Vertrauen getragenen Regierung. Das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes nach innen muß so gut wie das nach außen gegen jede Gewalt gesichert werden.
Noch größer als die politische Gefahr ist die wirtschaftliche Notlage unseres Landes.
Wir können uns nicht aus eigenem Vorrat bis zur neuen Ernte ernähren. Die Blockade zehrt am Marke unseres Volks. Tagtäglich gehen Tausende an Unterernährung zugrunde. Die Kohlenförderung stockt in erschreckendem Maße. Zahllose Fabrikbetriebe stehen still. Eine ungeheure Armee von Arbeitslosen ist angewachsen. Täglich werden neue Bahnlinien stillgelegt. Der spärliche Rest brauchbarer Lokomotiven bewältigt auch nicht mehr den notwendigen Teil an Verkehr und Transport.
Da lautet das erste Gebot:
An die Arbeit!
Nur sie kann uns retten. Jeder Streik führt uns einen Schritt näher dem Abgrund.
Wie in allen Verhandlungen mit den Vertretern der Arbeiter erklären wir auch heute:
Gleichwichtig wie die politische ist uns die wirtschaftliche Demokratie!
Nur sie kann alle Kräfte wecken und am Werke halten, die unsern völligen Untergang abzuwenden vermögen.
Wir sind dabei, das Gesetzbuch der wirtschaftlichen Demokratie zu schaffen:
Das einheitliche sozialistische Arbeiterrecht auf freiheitlicher Grundlage.
Wir werden die Organe der wirtschaftlichen Demokratie ausbauen:
Die Betriebsräte,
wie wir sie schon bei den Verhandlungen mit den Bergarbeitern aus dem Ruhrgebiet und aus Halle vorschlugen, die aus freiesten Wahlen hervorgegangene, berufene Vertreter aller Arbeiter sein müssen.
Wir werden das Ziel der wirtschaftlichen Demokratie erreichen: die konstitutionelle Fabrik auf demokratischer Grundlage. All das in Verbindung mit der
Sozialisierung
Der Wirtschaftszweige, die sich, wie vor allem Bergwerke und Erzeugung von Energie, zur Uebernahme in öffentliche oder gemischt wirtschaftliche Bewirtschaftung eignen oder der öffentlichen Kontrolle unterstellt werden können.
Im neuen Deutschland soll Arbeit sozialistische Pflicht sein, Müßiggang und genußsüchiges Drohnentum mit allen Mitteln unterdrückt und ausgemerzt werden. Vorwärts drum auf dem Wege organisch aufbauender Arbeit.
Wilde Sozialisierungsversuche aber, terroristischer Zwang gegen die Arbeiterschaft, bewaffneter Aufstand, Zerstückelung des Reichs werden wir rücksichtslos bekämpfen. Uns ist jedes Menschenleben heilig. Die Revolution gibt keinen Freibrief auf Raub, Mord und Gewalttätigkeiten aller Art. Ueber allem steht das Leben des Volkes!
Wer sich an ihm vergreift, ist unser Feind! Die Strenge des Gesetzes wir ihn treffen.
Nach vier Jahren furchtbaren Krieges mit ungeheuren Zerstörungen von Kulturwerten und einem Meer von Blut wollen wir nicht, daß auch noch die Schrecknisse des Bürgerkrieges mit seinen mörderischen Bruderkämpfen, mit allem seine Haß und seiner Zerrüttung unser Vaterland zerstören! Frieden nach innen und nach außen, Wiederaufbau und Wiedergenesung: das ist die Sehnsucht unseres leidenden Volkes!
Eine gewaltige Mehrheit von 22 Millionen Wählern hat uns zur Reichsregierung berufen. Steht zu uns, wie wir zu euch stehen! Das ganze Volk schließe sich uns an gegen Vergewaltigung, Zerstörung, Zusammenbruch! Wenn wir einig sind ist uns die Zukunft sicher!
Quelle:
Der Vorwärts vom 02. März 1919, 36:112 (1919), S. 1.
In: http://fes.imageware.de/fes/web/
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsregierung_(Weimarer_Republik)#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-R08282,_Weimar,_Regierung_Scheidemann.jpg