Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet
Während in Berlin, Bayern und andernorts bewaffnete Auseinandersetzungen ausgetragen wurden, wurde das Ruhrgebiet von mächtigen Streiks erschüttert. Die Streikbewegung radikalisierte sich rasch und demgegenüber versuchte die Regierung an das Verantwortungsgefühl der Streikenden zu appellieren. Weder die wirtschaftlichen noch die militärpolitischen Forderungen der Streikenden waren für die Regierung wirklich diskutierbar, sodass ein Konfrontationskurs unausweichlich schien.
Volltext:
Forderungen der Delegiertenkonferenz der revolutionären Bergarbeiter im Ruhrgebiet vom 31. März 1919
- Sofortige Einführung der Sechsstundenschicht mit Ein- und Ausfahrt für Untertags-Arbeiter unter Beibehaltung des bisher für längere Schichtendauer gezahlten Lohnes.
- 25 Prozent Lohnerhöhung.
- Regelung der Knappschaftsfragen.
- Anerkennung des Rätesystems.
- Sofortige Durchführung der Hamburger Punkte (betreffend Kommandogewalt).
- Sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen.
- Sofortige Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr.
- Sofortige Auflösung aller Freiwilligenkorps.
- Sofortige Anknüpfung aller politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der russischen Sowjet-Regierung.
- Entwaffnung der Polizei im Industriegebiet und im Reich.
- Bezahlung der Streikschichten.
Aufruf der Reichsregierung an die Bergarbeiter vom 31. März 1919
An die Bergarbeiter! Für das Ruhrgebiet hat über den Kopf der berufenen Arbeitervertretungen hinweg eine Delegiertenkonferenz der revolutionären Bergarbeiter den Beschluß gefaßt, am 1. April aufs neue in den Generalstreik zu treten. Die Forderungen, die dabei gestellt, werden in ihrer Gesamtheit die deutsche Republik der politischen Anarchie und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ausliefern. Wäre dieser Streik, der den Arbeitern nicht helfen soll, sondern die Allgemeinheit zerstören, siegreich, so würde das bedeuten: Vernichtung der Kohlenförderung durch Sechsstundenschicht und sinnlose Lohnerhöhungen; Stilllegung aller Industrien, die auf Ruhrkohle angewiesen sind, Vereitelung der endlich zugesicherten Lebensmittelzufuhr, die mit Industrieprodukten und Kohlenausfuhr bezahlt werden muß. – Die Regierung, die solche Forderungen annehmen würde, wäre die Totengräberin der Republik, des Volkes und der Freiheit. – Die Reichsregierung hält nach wie vor fest an den Vereinbarungen, die sie seit Februar mit den Bergarbeitern getroffen hat: Arbeiter- und Betriebsräte, durch die allein die Arbeiterschaft in den Produktionsprozeß hineingeführt werden kann, - dazu das Sozialisierungsgesetz im Zusammenhang mit der Sozialisierung des Kohlenhandels und schließlich die Einführung der 7,5-Stundenschicht.
Es ist keine Politik, keine Verwaltung, keine Ernährung mehr möglich, wenn solche grundsätzliche Einigung nach wenigen Tagen und Wochen umgeworfen und durch unmögliche und übertriebene Forderungen gegenstandslos gemacht werden. Deshalb hat die Reichsregierung in Erfüllung ihrer heiligsten Pflicht, Reich und Volk zu retten, zusammen mit der preußischen Regierung folgendes beschlossen:
Über das Ruhrrevier wird der Belagerungszustand verhängt. Die Regierungstruppen rücken in das Ruhrrevier ein, um die Arbeiter und die Betriebsanlagen vor dem Terrorismus zu schützen. Der Reichsernährungsminister wird entsprechend den Brüsseler Forderungen der Verbündeten in das Streikgebiet kein Pfund der eingeführten Lebensmittel abliefern lassen. Der Reichsarbeitsminister wird keinerlei Bezahlungen für Streikschichten gewähren. Dagegen soll den Arbeitern der Zechen, auf denen nach der 7,5-Stundenschicht gefördert wird, eine besondere Schwerstarbeitszulagen, steigend mit dem Förderquantum, bereitgestellt werden. Die Reichsregierung muß das Volk am Leben erhalten. Sie darf die Republik nicht dem tödlichen Terror durch eine Provinz und einen Stand ausliefern. Alles für den, der arbeitet! Nichts für den, der streikt! Sonst gibt es für Deutschland keine Rettung mehr!
Quelle:
Ursachen und Folgen, Bd. 3, S. 76ff.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruhrgebiet#/media/File:Locator_map_RVR_in_Germany.svg