Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

DE | EN

Der Kampf gegen den Antisemitismus

Die Revolution stellte auch den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens als größter Vereinigung des deutschen Judentums vor neue Herausforderungen. In seinem Essay führt der Jurist und Publizist Eugen Fuchs seine Ansichten über den widersprüchlichen, verschwörungstheoretischen Charakter des Antisemitismus aus und versucht Methoden zu dessen Bekämpfung aufzuzeigen.

Volltext:

Der Krieg ist verloren, das Reich zusammengebrochen. Der Sturmwind der Revolution hat die deutschen Throne hinweggefegt; die Republik ist ausgerufen, das Alte ist gestürzt. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den neuen Verhältnissen für uns deutsche Juden, für die Ziele und Wege des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens?

Der Centralverein ist gegründet als ein innerpolitischer Abwehrverein. Er hat sich vorerst nur um die Gleichberechtigung der deutschen Juden in Deutschland gekümmert und Abwehrkämpfe gegen die Regierung und die bevorrechtigten Klassen geführt, die uns die Gleichberechtigung dem Gesetze zuwider versagten. Nun ist die Herrschaft von Adel, Militarismus und Bürokratismus gebrochen. Hieraus ergibt sich folgendes für uns:

A. Die antisemitische Front muß geändert werden; die jetzige Regierung wird demokratisch und als solche kaum ein Gegenstand des Kampfes sein. Da sie nach ihren demokratischen Prinzipien freie Bahn dem Tüchtigen lassen muß, wird sie nicht das, was das Gesetz gewährt, im Wege der administrativen Prellerei - ich zitiere das Wort Mommsens - den Juden nehmen. Weil der Antisemitismus von heute noch mehr so sehr in den Erlassen der Bürokratie, als im Lärm der Presse und Gasse leben wird, so werden wir ihm dort entgegenzutreten und dort den Kampf gegen antisemitische Volksströmungen und gegen ihre Exponenten - die politischen Parteien - zu führen haben.

1. Die rechtsstehenden Parteien haben im Antisemitismus die Wahlparole gefunden, die sie einigt, das Schlagwort, mit dem sie krebsen und das alte Regime: Reaktion und Feudalismus, Junkertum und Klassenprivileg aufrechterhalten wollten. Es ist charakteristisch und überaus beschämend für das deutsche Volk, daß sie nicht den Mut haben, sich reaktionär, konservativ oder auch nur königstreu zu nennen, daß sie sich auch als "Volkspartei" bezeichnen und die Erbpächter des deutschen Nationalgedankens sein wollen. Mit den Schlagworten des Antisemitismus bekämpfen sie ihre demokratischen Gegner. Unsere Gegner wollen, so sagen sie, eine Judenherrschaft; die Juden aber sind schuld am Beginn des Krieges und am Verlust des Krieges, am Waffenstillstand und an der Revolution. Die Juden sind, so heißt es, als internationale Kapitalisten die Kriegshetzer, als internationale Pazifisten die Urheber des Waffenstillstandes und als internationale Sozialisten und Bolschewisten die Revolutionsmacher gewesen. Was ein richtiger Antisemit und ein deutschnationaler Volksparteiler ist, der glaubt, daß die Juden und vor allem die böse Alliance israélite universelle an allem Unglück in Deutschland und der Welt schuld sind, an Pest und Grippe und Brunnenvergiftung, daß die Juden Kriegshetzer und Friedenshetzer, Kapitalisten und Bolschewisten, Reaktionäre und Revolutionäre zusammen sind. Ist es zwar Wahnsinn, so hat es doch Methode! Mit Gründen der Vernunft und bloßen Worten ist die gewollte Unvernunft nicht zu widerlegen; wir werden den Kampf gegen die Unvernunft und die Böswilligkeit der Drahtzieher in alter Weise zu führen haben. Ich möchte hier nur an den alten Irrwahn der Reaktionäre erinnern, daß die Revolution von einem Häufchen Fremder ins Land getragen werde, und daß das gute treue Volk keinen Anlaß und keinen Wunsch gehabt habe, zu revolutionieren. In der großen französischen Revolution und in den Revolutionen des 19. Jahrhunderts hat man allerdings den Irrwahn, daß nur die Juden es sind, welche sie gemacht haben, nicht gehabt und haben können, diese Erkenntnis ist ein Produkt des fin de siècle. Gewiß finden sich mehr Juden in den sozialdemokratischen Parteien, als sie in den konservativen sind; aber seit Jahrzehnten habe ich darauf hingewiesen, wie die unselige Politik der Regierung und der konservativen Parteien die Juden in den Radikalismus getrieben habe und, wenn es so weitergehe, wenn die bürgerlichen Parteien nicht umlernen würden, sie erst recht die Juden in die radikalen Linksparteien hineintreiben würden. Ich erinnerte vor Jahr und Tag an das Wort Brentanos, daß überall, wo man den Juden die Möglichkeit der Betätigung gegeben habe, sie konservativ gewesen seien, und daß, wenn man ihnen die Tore öffne, allenthalben aus dem radikalen Disraeli ein konservativer Lord Beaconsfield werden werde. [...]

Gegen die [antisemitischen] Volksströmungen müssen wir kämpfen mit Waffen des Geistes. Dazu ist es nötig, daß wir ein positives Programm haben, eine bestimmte Lebens- und Weltauffassung. So wertvoll die Abwehrtätigkeit ist, wir bedürfen des positiven Programms im Kampfe gegen die jüdischen Gegner des Zentralvereins, gegen die Zionisten.

[...]

Und wenn man mich fragt, wie ich mir die Zukunft denke, so kann ich nur sagen, daß ich ein unverbesserlicher Optimist bin und daß ich der Zukunft vollen Vertrauens entgegensehe. Wenn wir treu, selbstbewußt und einig sein werden, so ist mir um die Zukunft nicht bange. Der Kampf der Geister ist kein Unglück; wie im Handeln, kommt es auch im Denken nicht auf die Erreichung eines Zieles, sondern auf die zielstrebende Bewegung an. Nur nicht Stagnation und Kampflosigkeit! Kampfbewegung ist alles. Aus der Bewegung wird sich, so bin ich gewiß, die Wahrheit und das ergeben, was dem Judentum und dem Vaterland und der Menschheit am besten frommt. Völkische und konfessionelle Absperrung ist nicht das Menschheitsideal. Nation und Konfession sind nur Durchgangsstufen zum höheren Menschentum. Ich glaube an den messianischen Beruf des Judentums, die Völker zu einer friedfertigen, freien und gerechten Menschheit zu vereinigen.

Flugblatt des C.-V. gegen antisemitische Propaganda, um 1925 (© Reproduktion DHM via Wikimedia)

Quelle:

Was nun? von Eugen Fuchs, in: Im deutschen Reich, März 1919, S. 103-111.

In: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2355410

 

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Central-Verein_deutscher_Staatsb%C3%BCrger_j%C3%BCdischen_Glaubens#/media/File:CV_Flugblatt.jpg

Glossar anzeigen
Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
[BauerBauer, Kurt, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, u.a. Wien 2008.
[BihlBihl, Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg 1914 - 1918. Chronik - Daten - Fakten, Wien 2010.
[BüttnerBüttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008.
[DNV]Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, hrsg. v. Ed.[uard] Heilfron, Bd. 1 bis 6, Berlin [1919].
[Ebert/Wienecke-JanzEbert, Johannes/Wienecke-Janz, Detlef, Die Chronik. Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, Gütersloh/München 2006.
[EK]Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 1993.
[EtzoldEtzold, Hans-Rüdiger, Der Käfer II. Die Käfer-Entwicklung von 1934 bis 1982 vom Urmodell zum Weltmeister, Stuttgart 1989.
[GG]Gitta Günther: Weimar-Chronik. Stadtgeschichte in Daten. Dritte Folge: März 1850 bis April 1945 (Weimarer Schriften, Heft 33), Weimar 1987.
[GrüttnerGrüttner, Michael, Das Dritte Reich 1933-1945 (= Bd. 19, Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte), Stuttgart 2014.
[HildebrandHildebrand, Klaus, Das Dritte Reich, 7. Aufl., München 2010.
[Kessler Tgbb]Harry Graf Kessler. Tagebücher 1918-1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M und Leipzig 1996.
[KittelKittel, Erich, Novembersturz 1918. Bemerkungen zu einer vergleichenden Revolutionsgeschichte der deutschen Länder, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 104 (1968), S. 42-108.
[KolbKolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 7. durchges. und erw. Aufl., München 2010.
[NiedhartNiedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, 2. aktualisierte Aufl., München 2010.
[O/S]Manfred Overesch/ Friedrich Wilhelm Saal: Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Düsseldorf 1992.
[Overesch/SaalOveresch, Manfred/Saal, Friedrich Wilhelm, Die Weimarer Republik, Eine Tageschronik der Politik, Wissenschaft Kultur, Augsburg 1992.
[PeukertPeukert, Detlef, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987.
[PK]Paul Kaiser: Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar (Weimarer Schriften, Heft 16), Weimar 1969.
[PM]Paul Messner: Das Deutsche Nationaltheater Weimar. Ein Abriß seiner Geschichte. Von den Anfängen bis Februar 1945 (Weimarer Schriften, Heft 17), Weimar 1985.
[ThHB]Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hrsg. von Bernhard Post und Volker Wahl, Redaktion Dieter Marek (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven, Bd. 1), Weimar 1999.
[TofahrnTofahrn, Klaus W., Chronologie des Dritten Reiches. Ereignisse, Personen, Begriffe, Darmstadt 2003.
[UB]Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistungen und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.
[VU]Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009.
[WinklerWinkler, Heinrich-August, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der Ersten deutschen Demokratie, München 1993.
[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)