Deutschlands Entmilitarisierung
Die Freiheit sah in den Auflagen für Deutschland innerhalb des Friedensvertrags eine Chance den Militarismus zu stürzen. Auf der anderen Seite befürchtete man durch die von den Alliierten aufgezwungenen starken Begrenzungen des Militärs eine Trotzreaktion der nationalen Kräfte in Deutschland.
Volltext:
Amsterdam, 22. März. Der Korrespondenz der „United Press“ erfährt von sehr gut unterrichteter Seite, daß der Zehnerrat folgende militärischen und maritimen Bedingungen, die Deutschland auferlegt werden sollen, endgültig angenommen hat: Die deutsche Armee soll aus höchstens sieben Divisionen Infanterie und drei Divisionen Kavallerie, zusammen 100 000 Mann, bestehen. Das Offizierskorps darf 4000 nicht übersteigen. In den verschiedenen Kriegsministerien dürfen nicht mehr als 300 Offiziere und ein Zehntel der Zivilbeamten vom Jahre 1918 beschäftigt werden. Die Kriegsschule des Generalstabs und ähnliche Einrichtungen werden abgeschafft. Es wird nur eine Militärschule zur Heranbildung von Offizieren aller Dienstzweige gestattet. Veteranenvereine, Turnvereine und andere Organisationen, in denen militärische Uebungen abgehalten werden, sind verboten. Alle Festungen innerhalb einer Strecke von 15 Meilen vom Rhein werden geschleift. Neue Werke dürfen nicht angelegt werden. Die Kavallerie verfügt über 18 000 Karabiner, 36 schwere Maschinengewehre und 36 Feldgeschütze. Schwere Artillerie ist verboten. Munitionsvorrate werden auf das äußerste beschränkt werden. Die Lage der Munitionsdepots muß bekanntgegeben werden. Die Alliierten behalten sich das Recht vor, die Zahl der Munitionsfabriken zu beschränken. Das über die festgesetzte Menge hinausgehende Kriegsmaterial muß den Alliierten ausgeliefert werden. Einfuhr und Ausfuhr von Kriegsmaterial mit Einschluß von Stickgasen, Panzerautos und Tanks ist verboten. Die Marine darf aus sechs Schlachtschiffen der „Deutschland“- oder „Lothringen“-Klasse, sechs leichten Kreuzern, zwölf Zerstörern und zwölf Torpedobooten bestehen. Für Panzerschiffe wird als größter Tonnengehalt 10 000, für leichte Kreuzer 6000 Tonnen, für Zerstörer 800 Tonnen, für Torpedoboote 200 Tonnen bestimmt. Schlachtschiffe oder Kreuzer dürfen erst dann ersetzt werden, wenn sie 20 Jahre alt sind, Torpedoboote, wenn sie 15 Jahre alt sind. Das Personal der Marine wird auf 15 000 Mann mit Einschluß von 1500 Offizieren beschränkt. Alle Hilfskreuzer, die abgerüstet werden können, werden Handelsschiffe, alle U-Boote müssen ausgeliefert werden. Bau von neuen U-Booten ist verboten. Die Befestigungen, die die Zugänge zur Ostsee beherrschen, werden geschleift, die Benutzung stärkerer drahtloser Stationen für militärische, maritime und politische Zwecke ist ohne Zustimmung der Alliierten nicht gestattet. Militärische und maritime Luftfahrzeuge sind nicht gestattet außer 100 Wasserflugzeugen bis zum 1. Oktober zur Vernichtung von Minen. Flugplätze innerhalb 93 Meilen östlich des Rheins oder 93 Meilen westlich der Ostgrenze oder 93 Meilen von der italienisch-tschecho-slowakischen Grenze sind nicht gestattet.
Falls die Angaben der „United Press“ zutreffen, würde dem deutschen Militarismus mit dem Abschluß des Friedens endgültig das Genick gebrochen sein. Viel Unheil wäre der Welt erspart geblieben, wenn das deutsche Volk aus eigener Kraft schon früher diesen Schritt unternommen hätte. Jetzt wird die Entwaffnung von dem übermächtigen Sieger diktiert, in einer Form, die bei dem oder jenem das nationale Empfinden verletzen könnte. Aber die Form darf nicht die Tatsache vergessen lassen, daß die Entmilitarisierung Deutschlands ein historisch notwendiger Schritt ist, sowohl für die Sicherung des Weltfriedens wie für die soziale und politische Entwicklung des deutschen Volkes.
Quelle:
Die Freiheit vom 24. März 1919, 2:140 (1919), Morgen-Ausgabe, S. 2.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensvertrag_von_Versailles#/media/File:Bundesarchiv_Bild_146-1972-081-03,_Zerlegen_eines_schweren_Gesch%C3%BCtzes.jpg