Ein altes Lied (von Kaspar Hauser)
Kurt Tucholsky versucht in einem in der Weltbühne veröffentlichten Gedicht auf die gefährliche Normalität in der Beziehung zum „Vaterland“ aufmerksam zu machen, das die Gräuel des Krieges zu schnell vergisst und gleichzeitig den geläuterten Militäreliten zum Wiedererstarken verhelfen könnte.
Volltext:
Fast jeder Hetzer
und Kriegesgeschwätzer
will heute vergessen sein
und drückt sich fein.
Er spricht von Würde
und deutscher Bürde
und gibt sich krumm und schief
noch positiv.
Die Generale
mit einem Male
sind alle mäuschenstill,
wenn Noske will.
Sie tun nicht mucken.
Sie tun sich ducken
und zanken nur zu Haus
die Alte aus.
Müßt drob nicht klagen.
In vierzehn Tagen
sind sie im Erdenlauf
wohl obenauf.
`s ist nicht vermessen.
Denn wir vergessen
gewißlich dumm und schnell
des Krieges Höll.
Ihr bösen Deutschen,
man sollt euch peitschen.
Ihr merkt noch immer nicht,
was euch geschieht.
Singt fromme Lieder,
erhöht sie wieder
in unserm Vaterland –
Pfui sich der Schand!
Quelle:
Die Weltbühne vom 20. März 1919, 15:13 (1919), S. 326.
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky#/media/File:TucholskyParis1928.jpg