Frieden in Sicht?
Der Krieg tobt zwar nicht mehr, doch das bedeutet noch keinen Frieden. Langsam kommt man zu der Einsicht, dass dieser sehr hart für Deutschland ausfallen wird, zugleich aber auch keine Alternative zur Annahme eines solchen Vertrages besteht. Momentan ist man zwar in Deutschland eher mit sich selbst beschäftigt. Doch der Frieden ist und bleibt eine entscheidende Frage.
Volltext:
Deutsche Ablehnung erwartet.
Ein amerikanischer Funkspruch meldet: Deutschland wird wahrscheinlich die Friedensbedingungen am 20. März erhalten. Die Bedingungen sind sehr scharf. Die deutsche Armee wird unter die Zahl herabgedrückt werden, die kleinere Nationen haben. Dies wird die Deutschen nachdrücklich dazu zwingen, ihre Zukunft und ihr Schicksal dem Völkerbund anzuvertrauen. Die Beratung machten einen so raschen Fortschritt, daß sogar die größten Optimisten überrascht waren. Man glaubt, daß nachdem Wilson den endgültigen Waffenstillstandsvertrag gutgeheißen hat, und er von den Deutschen angenommen sein wird, die Amerikaner demobilisieren werden. Es kann sein, daß die Deutschen nicht sofort annehmen. Die Bedingungen sind in der Tat so streng, daß viele eine deutsche Weigerung erwarten. In diesem Falle werden die deutschen Unterhändler nach Weimar gehen müssen, um dort mit der Regierung zu beraten. Sie werden vielleicht auch dort bei der Regierung verharren, und die Alliierten auffordern, Deutschland zu besetzen oder Deutschland auszuhungern. Sollte dieser Fall eintreten, so werden die Alliierten die Blockade fortbestehen lassen. Schließlich wird Deutschland die Bedingungen annehmen müssen, denn ein Kompromiss ist kaum möglich. Die Namen der deutschen Friedensunterhändler sind noch unbekannt. Den Grafen Bernstorff lehnt man wegen seiner früheren Tätigkeit ab und man wünscht, daß Deutschland neue Leute an Stelle der alten Anhänger des Kaisers sende. Der Friedensvertrag kann bald nach Wilsons Rückkehr abgeschlossen werden.
[…]
Von gut unterrichteter Seite erfährt die „Kölnische Zeitung“, daß Pichons Erklärung in Besprechung mit Verbandsjournalisten, wonach der Friedensschluss wahrscheinlich beschleunigt werde und früher erfolge, als allgemein angenommen werde, eine tiefere Bedeutung habe, als auf den ersten Blick erscheine. Man ist in maßgebenden Kreisen der Ansicht, daß man vielleicht den ganzen Prozess eines Vorfriedens überspringen und mit Deutschland sofort Friedensschluss machen könne. Tatsächlich bleibe nicht viel zu regeln übrig. Die alten Kommissionen sind mit ihren Arbeiten fertig, und die neuen werden voraussichtlich gleichfalls innerhalb weniger Tage fertig sein. Da die Angelegenheiten, mit denen sie sich beschäftigen, in den meisten Fällen vorbehandelt werden, sind die Ansichten der verschiedenen Abordnungen bekannt. Man dürfte daher damit rechnen, daß es sich vielfach nur um redaktionelle Verschiedenheiten handelt, denn die wichtigen, die in Betracht kommen sind schon von allen Seiten geprüft und die Ansichten des Verbandes stehen so unerschütterlich, daß der endgültige Friede sich nur in ganz winzigen Punkten von dem Vorfrieden unterscheiden dürfte.
Quelle:
Vossische Zeitung vom 11. März 1919, Nr. 129 Abendausgabe
In: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?id=dfg-viewer&set%5Bmets%5D=http%3A%2F%2Fcontent.staatsbibliothek-berlin.de%2Fzefys%2FSNP27112366-19190311-1-0-0-0.xml
Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Waffenstillstandskommission_1918#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-2004-0206-500,_Erzberger_auf_dem_Weg_zu_Waffenstillstandsverhandlungen.jpg