Gold gegen Kartoffeln
Keine Frage nach zukünftigen Grenzen oder Reparationszahlungen ist so drängend wie die Frage nach dem Ende des Hungers in Deutschland. Dieses muss große Zugeständnisse erbringen, wird aber nun endlich mit der Aussicht auf Nahrungsmitteltransporte beruhigt. Denn genau diese benötigt die einfache, hungernde Bevölkerung momentan am meisten.
Volltext:
Das Lebensmittelabkommen.
Auslieferung von 150 Schiffen.
Aus Paris wird gemeldet: Über den Inhalt des in Brüssel zwischen Deutschland und den Alliierten abgeschlossenen Abkommens werden jetzt nähere Einzelheiten bekannt. Über die Auslieferung der Schiffe verlautet, daß die Handelsflotte innerhalb 30 Tagen übergeben sein muss. 9 Passagierdampfer, darunter der „Imperator“, werden Amerika übergeben, die Übergabe dieser Schiffe hat bereits innerhalb dreier Tage zu erfolgen. Die Schiffe erhalten amerikanische Besatzungen.
Die Alliierten haben weiter Deutschland eine Liste von Erzeugnissen unterbreitet, die es nicht ausführen darf, um den Wettbewerb mit den Erzeugnissen der Industrie Frankreichs, Belgiens und anderer Länder auszuschalten. Es verlautet weiter, daß der deutsche Goldbestand, wie festgestellt wurde, gegenwärtig 570 Millionen Dollars beträgt, das heißt also, ein Zehntel des ganzen Weltbestandes. Dieses Gold muss teilweise der belgischen Nationalbank überwiesen werden und soll zur Sicherstellung für die Bezahlung der eingeführten Lebensmittel dienen. Tatsächlich werden die Einfuhren aber nur teilweise mit Gold bezahlt werden, teilweise mit deutschen Exporterzeugnissen. Insgesamt wird Deutschland etwa 150 Schiffe ausliefern müssen. Die Lebensmittelversorgung wird sofort aufgenommen.
England will Kartoffeln schicken.
Einer Reutermeldung zufolge erklärte der aus Paris nach London zurückgekehrte Lebensmittelkontrolleur Roberts, daß der Oberste Wirtschaftsrat Notmaßnahmen erwägt, um das hungernde Zentral- und Südosteuropa sofort mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Forderung, daß die Deutschen ihre Schiffe ausliefern müssten, wenn sie Nahrungsmittel erhalten wollten, bedeute nicht, daß sie keine Lebensmittel erhalten bis ihre eigenen Schiffe in der Lage sind, dieselben herbeizuschaffen, sondern daß die erste Bedingung für die Hilfe der Alliierten die ist, daß auch Deutschland die Alliierten dabei unterstützt. Roberts sagte ferner, die Anstrengungen, die Amerika mache, um den hungernden Völkern rechtzeitig Hilfe zu bringen, hätten auf ihn einen großen Eindruck gemacht. England treffe Vorbereitungen, um 100000 Tonnen Kartoffeln nach Rotterdam zu senden, die unter Aufsicht der Militärbehörden nach Deutschland gebracht werden sollten. Desgleichen würden Fett und kondensierte Milch gesandt werden.
Die Hilfe Hollands.
In „Rieuwe Courant“ wird die Frage erwogen, ob die Lebensmittelvorräte der Niederlande groß genug sind, um die Alliierten in der Lebensmittelversorgung Deutschlands zu unterstützen. Wenn Holland Lebensmittel entbehren können, solle man sie sofort zur Verfügung stellen, um damit das Hilfswerk der Alliierten zu beschleunigen, da es noch größeres Interesse als die Alliierten daran habe, daß der Bolschewismus von Hunger unterstützt, nicht weiter um sich greife.
Dem „Allgemeinen Handelsblatt“ zufolge soll in dieser Woche der Transport einer großen Menge kondensierter Milch und Speck von Rotterdam nach Deutschland beginnen. Ungefähr ein Drittel der gesamten Milch, die Deutschland zugewiesen wird, befindet sich schon in Rotterdam. Desgleichen sind schon mehrere tausend Tonnen Speck aufgestapelt.
Aussicht auf Fische.
Reuter erfährt, daß Deutschland die Erlaubnis erhalten hat, Gold und gewisse Waren auszuführen, deren Erlös es in den Stand setzen wird, die gelieferten Nahrungsmittel zu bezahlen. Das Kontrollamt für diese deutsche Ausfuhr wird wahrscheinlich in Rotterdam errichtet werden. Den Deutschen wird erlaubt, in Norwegen Fische zu kaufen und den Fischfang in der Nordsee wieder aufzunehmen. Ferner werden Schritte zur Milderung der Blockade unternommen.
Amerika bestimmte Antwerpen als Ausgangsort für seine Verproviantierungsaktion. Am Sonnabend wurde ein Protokoll über Schiffs- und Nahrungstransporte nach dem Rhein unterzeichnet.
Quelle:
Rhön-Zeitung vom 19. März 1919, Nr. 66
In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00172672/RhoenZ_1919-0233.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00197173