Die Weimarer Republik – Deutschlands erste Demokratie

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Catch me if you can! - 1919

In undurchsichtigen, bewegten Zeiten kann man manchmal den Überblick verlieren. Dies öffnet Tür und Tor für Scharlatane. Doch was Ludwig Johann Oertel zu dieser Zeit alles anstellt, ließe selbst Baron Münchhausen, James Bond oder Frank Abagnale staunen. Tja; manchmal zahlt sich Dreistigkeit aus - bis man dann doch auffliegt.

Volltext:

Eine falsche Mission.

In einem Frankfurter Restaurant wurde in der Nacht zum Freitag eine aus sechs Köpfen bestehende „amerikanische Mission“ verhaftet, deren Haupt der 29jährige Ludwig Johann Oertel aus Frankfurt unter dem hochtrabenden Titel Ludwig Johann Freiherr von und zu Egloffstein-Oertel seit Monaten die höchsten Reichsbehörden und eine Anzahl fremder Regierungen und Konsulate in geradezu genialer Weise irregeführt hat. Oertel hatte es verstanden, Pässe vom Auswärtigen Amt Berlin zu erhalten. Das österreichische Eisenbahnministerium hatte ihm eine Freikarte für sämtliche österreichische Bahnen ausgestellt. Im amtlichen Auftrag führte Oertel vor kurzem 1000 rumänische Zivilinternierte vom Holzmindener Gefangenenlager nach Rumänien und löste dann das Gefangenenlager auf. Oertel hatte Beziehungen zu Feldmarschall Mackensen. Er schloss mit der tschechischen Regierung in Prag Verträge ab und pflog Freundschaften mit Ententemissionen. Für seine Reise am letzten Dienstag von Berlin nach Frankfurt hatte man ihm von Reichswegen ein Automobil und den dazu gehörigen Brennstoff zur Verfügung gestellt. In Berlin wollte ihn die Berliner Kriminalpolizei bei der Abreise samt seinem Gefolge verhaften. Auf Grund seines Passes vom Auswärtigen Amt entließ man ihn aber wieder unter vielen Entschuldigungen. In Frankfurt gastierte Oertel als Führer einer amerikanischen Sondermission, wobei er die Uniform eines amerikanischen KapitäNS trug. Zu seinem Gefolge gehörte als erster Privatsekretär der ehemaligen Zeichner und Filmschauspieler Karl Weißmann aus Berlin, und ein Mann namens Poek, der früher als Arrestantenaufseher Oertel wiederholt in Gefängnissen beaufsichtigt hatte. Der Schwindler gilt als im höchsten Grade größenwahnsinnig. Er ist wiederholt bestraft und befand sich auch schon in Irrenanstalten.

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Quelle:

Der Deutsche vom 06. Mai 1919, Nr. 104.

In: h t t p s : / / z s . t h u l b . u n i - j e n a . d e / r s c / v i e w e r / j p o r t a l _ d e r i v a t e _ 0 0 2 4 7 6 2 5 /SDH_19376538_1919_Der_Deutsche_0437.tif

 

Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Catch_Me_If_You_Can_(2002)#/media/File:Catchmeifyoucan-logo.svg

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Ein Projekt des Weimarer Republik e.V. mit freundlicher Unterstützung

Glossar

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis der verwendeten Literatur:

ADGBAllgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AEGAllgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
AfA-BundGeneral Free Federation of Employees
AVUSAutomobil-Verkehrs- und Übungsstraße
BMWBayrische Motorenwerke
BRTBruttoregistertonne
BVPBayerische Volkspartei
CenterZentrumspartei
DAPDeutsche Arbeiterpartei
DDPDeutsche Demokratische Partei
DNTDeutsches Nationaltheater
DNVPDeutsch-Nationale Volkspartei
DVPDeutsche Volkspartei
KominternCommunist International
KPDKommunistische Partei Deutschlands
KVPKonservative Volkspartei
MSPDMehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands
NSNationalsozialismus
NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; Nazipartei
NVNationalversammlung
O.C.Organization Consul
OHLOberste Heeresleitung
RMReichsmark
SASturmabteilung; Brownshirts
SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands
SSSchutzstaffel
StGBPenal Code
UfAUniversum Film Aktiengesellschaft
USPDUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VKPDVereinigte Kommunistische Partei Deutschlands
ZentrumDeutsche Zentrumspartei
[AB]August Baudert: Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923.
[AS]Axel Schildt: Die Republik von Weimar. Deutschland zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ (1918-1933), hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2009.
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[WirschingWirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. erw. Aufl., München 2010.

(zusammengestellt von Dr. Jens Riederer und Christine Rost, bearbeitet von Stephan Zänker)